Wie staatliche Strukturen in Deutschland häusliche Gewalt gegen Frauen fördern
In ihrem Buch beschreibt Asha Hedayati eine deutsche Gesellschaft, in der Politik und Recht Frauen nicht vor partnerschaftlicher Gewalt schützt, sondern diese im Gegenteil noch verstärkt. Vanessa Tiede sieht sich an, ob die im Bundestag vertretenen Parteien dieses Problem in ihren Programmen aufgreifen.
Asha Hedayati ist wütend. Besonders über Menschen in Deutschland, die aus einer Position gesellschaftlichen Privilegs heraus mehr „Sachlichkeit“ und „Neutralität“ in der Diskussion um Strukturen fordern, die Ungerechtigkeiten systematisch reproduzieren. In ihrem Buch „Die Stille Gewalt: Wie der Staat Frauen alleinlässt“ argumentiert sie elegant basierend auf empirischen Daten, Fachwissen, und einem Jahrzehnt Erfahrung als Familienrechtsanwältin, wie Politik und Recht Gewalt gegen Frauen durch (Ex-)Partner verstärken. In ihrem Schlusswort wünscht sie sich „eine Wut, die nicht lähmt, sondern Raum für Erkenntnisgewinn lässt“ und „aus der wir Kraft schöpfen können“. Gerade im Hinblick auf die kommendes Jahr anstehende Bundestagswahl hofft man nach Lektüre von Hedayatis Buch, dass Entscheidungsträger*innen die Depriorisierung von weiblichen Opfern physischer, psychischer, sexueller und wirtschaftlicher Gewalt durch (Ex-)Partner mit solch einer Wut begegnen. Die Programme der im Bundestag vertretenen Parteien bieten dahingehend wenig Hoffnung.
Von Männern und Bären
Auch wenn vor kurzem ein TikTok-Trend deutlich machte, dass Frauen die Gesellschaft eines Bären der eines Mannes allein im Wald vorziehen, bleibt der gefährlichste Ort für eine Frau ihr Zuhause. Und dort hat die Gewalt gegen sie endemische Ausmaße. Entgegen manch einer Erwartung schließt diese Aussage Länder wie Deutschland ein, die sich als aufgeklärt zum Thema Geschlechtergerechtigkeit verstehen: statistisch wird alle drei Tage bei uns eine Frau von ihrem aktuellen oder Ex-Partner umgebracht, fast an jedem Tag findet der Versuch statt. Und das jüngst veröffentlichte „Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023“ zeigt einen anhaltenden Trend von wachsender Gewalt gegen Frauen- und das Bundeskriminalamt stützt sich hier nur auf die sogenannten „Hellzahlen“, das heißt, die Fälle, in denen Gewalt zur Anzeige gebracht wird. Aus einer auf Sachsen beschränkten Studie (es gibt vergleichbares nicht auf Bundesebene) ergab sich eine Anzeigenquote von vier bis 13 Prozent. Männerrechtsaktivisten betonen gerne, dass Frauen sich zu Unrecht über ihre Lage beschwerten, dass es ihnen so viel besser ginge als Frauen in anderen Ländern. Hedayati hingegen berichtet aus der Praxis, dass Gewalt gegen Frauen durch (Ex-) Partner mit steigender Emanzipation ebenfalls zunehme, da dies mit einem Kontroll- und Machtverlust für Männer einher gehe.
Vor dem Familiengericht
Ein Beispiel für die Verstärkung von Gewalt durch das Recht zeigt Hedayati an familiengerichtlichen Verfahren auf. Dort herrscht ein unbegründetes Wohlwollen gegenüber Männern, die gegenüber ihrer (Ex-)Partnerin gewalttätig sind: die Gewalt betreffe ja „nur“ die Mutter und nicht das Kind. Dabei belegen Daten auch, dass Kinder, die Gewalt zwischen den Eltern erleben, ein höheres Risiko haben, posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln sowie selbst zu Opfern oder Tätern zu werden. Zu diesem Thema äußerte sich der Expertenausschusses zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 (auch als „Istanbul-Konvention“ bekannt). Er rügte Deutschland explizit dafür, dass gewalttätige Väter Sorge- und Umgangsrechte für ihre Kinder bewilligt bekämen und dabei die Sicherheit der Frauen und Kinder ignoriert würden.
Kein politischer Wille die Ausweglosigkeit zu beseitigen
Tatsächlich kann es für eine Frau, die Gewalt in ihrer Partnerschaft mit einem Mann erfährt, bizarrerweise eine momentan rationale Entscheidung sein, ihn nicht zu verlassen, denn die Trennungssituation ist ein Hochrisikofaktor für Femizid. Darüber hinaus identifiziert Hedayati weitere Gründe, die ein Bleiben in einer gewalttätigen Beziehung erklären können, und welche die Politik nicht aktiv angeht: Probleme, alternativen bezahlbaren Wohnraum für sich und die Kinder zu finden, Angst vor Armut (43 Prozent aller Alleinerziehenden gelten als einkommensarm, etwa 50 Prozent bekommen keinen Kindesunterhalt vom Vater), und die (berechtigte) Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird (inhärenter Sexismus und mangelnde Ausbildung von Strafverfolgungsbehörden). Im vor kurzem verabschiedeten Haushaltsentwurf für 2025 ist kein Geld für das Gewalthilfegesetz vorgesehen (obwohl es im Koalitionsvertrag steht), was einen Rechtsanspruch auf Schutz sowie Beratung für Opfer und Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt schaffen sollte.
Und jetzt?
Hedayati weiß, dass sie in ihrem Buch keine Geheimnisse verrät, sondern dass die Grundlinien ihrer Argumentation der Politik bekannt sind. Wie also spiegelt sich die Problematik von partnerschaftlicher Gewalt gegen Frauen in den Programmen der im Bundestag vertretenen Parteien wider? Im 2023-er Grundsatzprogramm der CSU findet häusliche Gewalt gegen Frauen keine Erwähnung, ebenso wenig wie im Grundsatzprogramm der FDP von 2012 oder dem aus dem Jahr 2016 stammenden Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland. Im (verhältnismäßig kurzen) Parteiprogramm des Bündnisses Sahra Wagenknecht werden Frauen nicht einmal erwähnt. Im Grundsatzprogramm der SPD von 2007 wird häusliche Gewalt erwähnt, aber nicht als besonderes Problem hervorgehoben. Das Grundsatzprogramm der CDU aus diesem Jahr widmet dem Thema immerhin einen halben Absatz. Im Grundsatzprogramm vom Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2020 hingegen wird Gewalt gegen Frauen nicht nur mehrfach erwähnt, es werden auch konkrete Maßnahmen in Bezug auf die Umsetzung der Istanbuler Konvention gefordert. So ähnlich auch das 2011-er Grundsatzprogramm der Partei Die Linke, welche spezifische Forderungen wie Präventionsausbau und nachhaltige Finanzierung von Frauenhäusern stellt.
Häusliche Gewalt wird also von der Mehrheit der Parteien nicht als Problem gesehen, mit dem sich die Politik beschäftigen muss. Solange das so bleibt, wird sich kaum der politische Wille bilden, der notwendig ist, um den Aufwärtstrend zu stoppen.