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Chris Cooper, Todd Belt und Gary Geipel beantworten FMPs Fragen zur US-Wahl

Die amerikanische Demokratie steht einen Tag vor den Präsidentschaftswahlen vor großen Herausforderungen. Viele Bürgerinnen und Bürger sind frustriert über ein Wahlsystem, das oft nur zwei Extreme favorisiert, während Millionen moderater Stimmen ungehört bleiben. Freiheit|Macht|Politik hat drei Experten für US-Politik vier Fragen gestellt, die sich mit möglichen Reformen des Wahlsystems, unterschätzten Einflüssen auf die Wahl, prägenden Köpfen und dem bestimmenden Thema auf den Wahlausgang beschäftigen. Die Redaktion hat in diesem Beitrag die Antworten von Chris Cooper, Todd Belt und Gary Geipel zusammengefasst.

Welche Reformen würden Sie am US-Wahlsystem vornehmen, wenn Sie uneingeschränkte Macht hätten – und warum?

Die Vorschläge der drei Experten zielen darauf ab, politische Repräsentation zu verbessern und Polarisierung zu reduzieren.

Chris Cooper schlägt vor, die US-Wahlen durch drei Hauptreformen zu verbessern: die Beendigung von Gerrymandering, die Öffnung der Vorwahlen für alle Wähler und die Einführung von Ranked Choice Voting (RCV). Er sieht die Polarisierung als zentrales strukturelles Problem, das durch parteiisch gezeichnete Wahlbezirke verstärkt wird. Diese förderten extremistische Kandidaten in den Vorwahlen. Durch RCV würden Kandidaten gezwungen, über ihre Parteigrenzen hinaus Unterstützung zu suchen. Es „erlaubt es den Menschen, für mehr als nur das ‚kleinere Übel‘ zu stimmen.“ Zudem mindere es negative Wahlkampagnen, da Kandidaten, „die eine übermäßig negative Kampagne führen, von den Wählern mit einer niedrigeren oder gar keiner Rangfolge bestraft werden.“ RCV wird bereits in mehreren Städten und Staaten in den USA genutzt. Die Umsetzung dieser Reformen trifft jedoch auf Widerstand, besonders von „MAGA-Konservativen, die sie (zu Recht) als Bedrohung ansehen.“

Todd Belt setzt sich für die Abschaffung des Wahlmännergremiums (Electoral College) ein und argumentiert, dass dies eine echte nationale Mehrheitswahl ermöglichen würde. Er erklärt: „Das derzeitige System gewichtet einige Bundesstaaten mehr als andere und es führt dazu, dass viele Wähler in Bundesstaaten mit sicherem Wahlausgang das Gefühl haben, ihre Stimme zähle nicht.“ Seine weiteren Vorschläge umfassen die Einführung unabhängiger Kommissionen zur Wahlkreisgestaltung und die Neuorganisation des Senats, der derzeit kleineren Bundesstaaten überproportional Einfluss gibt. Seine Vorschläge, so Belt, könnten das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Demokratie erhöhen und die Wahlbeteiligung fördern. Auch die Idee, Wahlen transparenter zu gestalten, indem etwa die Bildung zum Thema verstärkt wird, ist Belt ein Anliegen.

Gary Geipel hingegen sieht das Problem eher in der Vorwahlstruktur, die extremeren Gruppierungen disproportionalen Einfluss verleiht. Sein Vorschlag für einen landesweiten, einheitlichen Termin für die Vorwahlen und eine direkte Stichwahl würde „den Einfluss extremer ideologischer Stämme in beiden Parteien“ mindern und sicherstellen, dass Kandidatinnen und Kandidaten eine breitere Wählerschaft ansprechen. Eine zusätzliche Stichwahl zwischen den beiden Meistgewählten jeder Partei könnte verhindern, dass extremistische Kandidatinnen und Kandidaten mit nur einer kleinen Basis die Oberhand gewinnen. Geipel erhofft sich, dass durch diese Veränderung die Bürger wieder Vertrauen in das System gewinnen, da es fairer und demokratischer gestaltet wäre.

Welches Ereignis oder welcher Faktor wird in seiner Bedeutung für die Wahl unterschätzt, und warum erkennen das nicht mehr Menschen?

Die drei Experten nennen jeweils Naturkatastrophen, die Persönlichkeit der Kandidaten, sowie das gescheiterte Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump.

Chris Cooper nennt als Beispiel Naturkatastrophen, wie die jüngsten Überschwemmungen im Bundesstaat North Carolina, die eine niedrige Wahlbeteiligung unter konservativen Wählerinnen und Wählern bewirken könnten. Dies sei besonders relevant, da die Wählerschaft in Katastrophengebieten „eher ihre täglichen Probleme in den Vordergrund rücken als die Politik.“ Durch die frühe Stimmabgabe in North Carolina könnten solche Ereignisse einen erheblichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, insbesondere, weil die Region zu den „Swing States“ zählt. So Dieses Beispiel zeigt, wie kurzfristige Ereignisse längerfristige politische Konsequenzen haben könnten.

Todd Belt hebt die Bedeutung persönlicher Eigenschaften der Kandidatinnen und Kandidaten hervor, die kurz vor der Wahl oft entscheidend sind. Er erinnert an die Untersuchung der E-Mail-Affäre Hillary Clintons durch das FBI im Jahr 2016 und erklärt: „Die Integrität der Kandidaten kann in dieser Phase das ausschlaggebende Element sein.“ Falls ein ähnliches Ereignis im aktuellen Wahlkampf auftreten würde, könnte dies laut Belt die letzten unentschlossenen Wählerinnen und Wähler zu einer Seite bewegen. Diese Fokussierung auf persönliche Eigenschaften spiegelt auch die Bedeutung medialer Wahrnehmung wider, die durch eine zunehmende Politisierung der Medien verstärkt wird.

Gary Geipel sieht in der gescheiterten Amtsenthebung von Trump im Jahr 2021 einen stark unterschätzten Faktor, der enorme Konsequenzen für die gegenwärtige Wahl hat. „Hätte der Senat Trump verurteilt, wäre er für künftige Wahlen disqualifiziert gewesen,“ erklärt Geipel. Diese Tatsache werde jedoch in der öffentlichen Diskussion oft übersehen, was darauf zurückzuführen sei, dass republikanische Amtsträgerinnen und Amtsträger ungern daran erinnert werden.

Welcher nicht-politische Denker erklärt die derzeitige politische Entwicklung in den USA am besten?

Chris Cooper stellt zwei Visionen für die USA gegenüber, Todd Belt nennt ein Buch von Timothy Snyder, und Gary Geipel ein Buch von Yuval Noah Harari.

Chris Cooper beschreibt das gegenwärtige politische Klima als eine Auseinandersetzung zwischen einer „Musk-y“- und einer „Oprah-topischen“ Vision Amerikas. Er sagt: „Diese Wahl könnte das Land entweder in eine Richtung führen, in der Oligarchen Einfluss auf die Regierung nehmen, oder in eine diverse, meritokratische Gesellschaft.“ Diese Extreme verdeutlichen die ideologische Spaltung der US-Gesellschaft. Coopers Sichtweise deutet auf das Phänomen hin, dass prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zunehmend Einfluss auf politische Diskurse haben und oft zu Symbolen kultureller und ideologischer Strömungen werden.

Todd Belt verweist auf Timothy Snyder, dessen Buch „Über Tyrannei“ vor autoritären Tendenzen in demokratischen Systemen warnt. Belt sieht in Snyder eine Stimme, die „uns an die Zerbrechlichkeit demokratischer Institutionen und die Gefahr autoritärer Bewegungen erinnert.“ Snyder betont die Notwendigkeit, aus der Geschichte zu lernen, um demokratische Werte und Institutionen zu schützen. Seine Arbeit bietet Belt zufolge „eine wertvolle Analyse dafür, wie leicht Demokratien in autoritäre Tendenzen abdriften können.“

Gary Geipel nennt Yuval Noah Harari, dessen Werk „Nexus“ die Dynamik von sozialen Netzwerken und die Rolle von Algorithmen beschreibt. Laut Harari könne die digitale Vernetzung ähnliche Effekte auf die Gesellschaft haben wie totalitäre Ideologien vergangener Epochen, und Geipel fügt hinzu: „Harari bietet eine Erklärung für die scheinbar irrationale Radikalisierung, die wir heute erleben.“ Geipel betont, dass Harari, obwohl er keine leichten Lösungen anbietet, Verständnis dafür schafft, wie die moderne Kommunikation das soziale und politische Leben verändert.

Welches politische Thema steht letztendlich im Mittelpunkt der Präsidentschaftswahl?

Die drei Experten beantworten diese Frage sehr unterschiedlich: Chris Cooper spricht von einem „Kulturkrieg“, Todd Belt nennt die Wirtschaft, und Gary Geipel die Frage, welche Rolle der Staat im Leben der Bürger spielen soll.

Chris Cooper beschreibt die Wahl als Fortsetzung eines „Kulturkriegs“, bei dem es „mehr um Persönlichkeiten, Temperamente und Ressentiments als um spezifische politische Themen geht.“ Er betont, dass ohne grundlegende Reformen das US-amerikanische politische System „weiter in eine Abwärtsspirale gerät.“ Cooper sieht darin ein langfristiges Risiko für die amerikanische Demokratie, die ohne strukturelle Veränderungen ihrer ideologischen Spaltung nicht entgegenwirken kann.

Todd Belt sieht die Wirtschaft als das zentrale Thema für die Wähler, auch wenn diese Frage im Wahlkampf kaum behandelt wird. Er kritisiert, dass Harris und Trump „nur wenig getan haben, um konkrete wirtschaftliche Pläne zu präsentieren, die den Alltag der Menschen verbessern könnten.“ Belt merkt an, dass „die Wahl eigentlich die Gelegenheit bietet, die Zukunft zu gestalten.“ Die geringe Aufmerksamkeit für wirtschaftliche Belange im Wahlkampf zeigt für Belt ein tiefergehendes Problem in der Prioritätensetzung der Parteien.

Gary Geipel beschreibt die Wahl als eine Entscheidung über die Rolle der Regierung im Leben der Bürger. Er sagt: „Während die Demokraten die Regierung als einen notwendigen Akteur zur Verbesserung sozialer Bedingungen sehen, betrachten viele Republikaner sie als Hindernis für Gemeinschaft und Innovation.“ Diese Sichtweisen spiegeln grundlegende, tief verwurzelte Überzeugungen wider und verdeutlichen die ideologische Kluft zwischen den beiden Parteien. Geipel sieht darin einen historischen Konflikt, der für die politische Identität der USA prägend ist.

Alle drei Experten betonen die Notwendigkeit, die polarisierende Parteilichkeit im US-amerikanischen Wahlprozess zu reduzieren. Chris Cooper und Gary Geipel schlagen entsprechende Änderungen in den Vorwahlen vor: Cooper befürwortet eine Rangfolgewahl und offene Vorwahlen, während Geipel ein eintägiges, landesweites System für die Vorwahlen vorschlägt, um die Diversität der Kandidaten zu fördern. Beide betrachten diese Reformen als wesentlich, um den Einfluss polarisierender Gruppierungen zu verringern. Im Gegensatz dazu liegt Todd Belts Fokus auf strukturellen Reformen, insbesondere dem Ersatz der Wahlmänner, um die demokratische Legitimität der Wahlen zu erhöhen, sowie der Abschaffung oder Reform des Senats für eine gerechtere Vertretung. Jeder der Experten hat unterschiedliche Persönlichkeiten gewählt, welche die Lage der USA beschreiben. Cooper verweist auf die “Musk-artigen” und “Oprah-topischen” politischen Visionen, Belt hat Timothy Snyders Ideen zur Zerbrechlichkeit der Demokratie ausgesucht und Geipels Wahl fiel auf Yuval Noah Hararis Einblicke in digitale Informationsnetzwerke. Alle spiegeln die Sorge über polarisierende Kräfte in den USA wieder. Cooper, Belt und Geipel sind sich einig, dass die aktuelle Wahl spezifische politische Themen übersteigt und das Ergebnis eine tiefere ideologische Spaltungen aufweisen wird. Cooper argumentiert sogar, dass die USA in einer „Post-Politik“-Ära sind.

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Democracy
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