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Eine Demokratie braucht einen echten Souverän

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Author
Dominique Reber
Tag
Democracy

Eine Reaktion von Dominique Reber auf “Angriff auf den Volkssouverän” von Dominik Meier und Christian Blum.

Der Essay “Angriff auf den Volkssouverän” von Dominik Meier und Christian Blum diskutiert den Umgang mit der Alternative für Deutschland (AfD), die Argumentation ließe sich aber ohne weiteres auch auf andere europäische Länder und deren Polparteien übertragen. Sie argumentieren, dass die liberale Demokratie in einem scheinbaren Dilemma steht: Sie muss einerseits kontroverse Meinungen tolerieren und andererseits ihre eigenen Grundlagen schützen.

Die Autoren lehnen die Vorstellung ab, dass dieses Dilemma unlösbar sei. Sie betonen, dass die AfD und ähnliche Gruppen nicht einfach politische Gegner, sondern Feinde der Demokratie sind, die aktiv bekämpft werden müssen. Dies erfordert politische Reformen und entschlossenes Handeln seitens des Staates, um die demokratischen Prinzipien zu verteidigen. Der Staat muss Volksverhetzer verfolgen und gegebenenfalls auch Parteien verbieten, um die Demokratie zu schützen.

Die Autoren Meier und Blum argumentieren überzeugend für eine entschlossene Verteidigung der Demokratie gegen politische Bedrohungen durch Polparteien. Ein Blick in die Schweiz könnte dieses Argument weiter stärken, denn die direkte Demokratie hat bewiesen, resilient gegen Populisten zu sein:

Fehlendes Verfassungsgericht

In der Schweiz gibt es kein Verfassungsgericht, was bedeutet, dass politische Diskussionen bis zum Ende geführt werden müssen. Dies hat eine robustere demokratischen Praxis zum Ergebnis, da keine höhere Instanz Debatten frühzeitig beendet.  Am Ende ist der Souverän das Volk – Argumente müssen bis zum Schluss überzeugend geführt werden und die Mehrheit muss gewonnen und respektiert werden. Dies schärft den Diskurs und führt dazu, dass die Politik sich nicht von der Basis entfernen kann, wenn sie die Definitionsmacht nicht verlieren will.

Verfassungsschutz durch das Volk

In der Schweiz agiert das Volk als oberster Verfassungsschützer. Wenn Politik den Bürgerinteressen dient, entsteht keine Kluft zwischen Verfassung und Bevölkerung. In Deutschland hingegen hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Distanz zwischen etablierten Parteien und vielen Bürgern entwickelt, die sich von der Politik nicht mehr repräsentiert fühlen. Die AfD fungiert hier oft als Sprachrohr dieser vernachlässigten Anliegen (nicht nur, aber auch). Sie ist also ein Sammelbecken des Politikversagens und der fehlenden Bereitschaft etablierter Politiker, sich diesen Anliegen anzunehmen. Die AfD ist demnach opportunistisch und mit diesem Opportunismus erfolgreich, ihre rechte Ausrichtung ist hier wohl eher eine Bremse als eine Stütze des Erfolgs. Oder anders formuliert: Wäre die AfD weniger rechts und noch opportunistischer, dann wäre sie wohl noch erfolgreicher.

Volksentscheide und Sachpolitik

Volksentscheide zwingen alle politischen Akteure in der Schweiz, zu konkreten Sachfragen Stellung zu beziehen. Populisten, die keine fundierten Antworten liefern können, verlieren an Unterstützung – denn die Menschen im Land können gut unterscheiden, ob Lösungen oder Probleme präsentiert werden. In Deutschland fokussiert sich die ganze Politik auf Wahlen und Personen und nicht auf Sachfragen. Im Vordergrund stehen Persönlichkeiten und Ideologien, wodurch Populisten und Charismatiker leichter punkten können. Sachpolitik entlarvt hingegen leere Rhetorik und fördert substanzielle Diskussionen.

Der Souverän ist das Volk und kein anderes Recht

Der Entscheid des Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) in der Frage der Klimaseniorinnen hat in der Schweiz eine Polemik ausgelöst – nicht etwa in der Bevölkerung, sondern in der zuständigen Kommission des Parlaments. Das eidgenössische Parlament ersucht den Bundesrat, den Entscheid des EGMR nicht anzuerkennen.  Diese Form des politischen Widerstands ist in der Schweiz nicht umstritten, weil er  durch die öffentliche Meinung unterstützt wird. Der EGMR-Entscheid  stellt die Souveränität der Schweizer Klimapolitik  in Frage stellt. Dieses wurde letztlich durch Volksabstimmung demokratisch legitimiert und untermauert. Die Schweizer Bevölkerung ist der Souverän, kein Gericht steht über dieser Legitimation.

In der direkten Demokratie ist das Volk der Souverän und auch der Rechtsstaat steht nicht über dem Volk

Das mag in Deutschland erschrecken, denn es gibt keine “Sicherung” in der Schweiz, kein Bundesgericht, das letztlich einen Volksentscheid “verbieten” kann. Aber genau aus diesem Grund bleibt der demokratisch-politische Diskurs auch im Rahmen, selbst radikalste Volksinitiativen werden zur Abstimmung gebracht, aber die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass hier mit dem Feuer gespielt wird. Die Stimmenden werden ernst genommen, deshalb werden radikale oder extreme Initiativen abgelehnt wie zum Beispiel die Abschaffung der Armee, die Einführung des Grundeinkommens, und die Schaffung der Einheits-Krankenkasse. Die Stimmbevölkerung in der Schweiz hat gelernt, dass sie die letzte Sicherung ist und nimmt genau auch diese Verantwortung wahr. Sobald diese ultimative Verantwortung aber dem Souverän entrissen wird, stehen Tür und Tor offen für extreme Parteien, denn sie politisieren letztlich ohne Verantwortung – sie können sich immer darauf verlassen, dass es eine Institution gibt, die notfalls einschreitet und extreme Effekte verhindert. Das wirkt enthemmend. Spannendes Beispiel ist vor diesem Hintergrund Corona: Impfgegner und Coronaleugner hatten mehrfach Volksentscheide angestrengt, diese wurden mit großer Mehrheit verworfen. Die oft zitierte Minarett-Initiative, die angenommen wurde, ist demgegenüber eigentlich gar ein Etikettenschwindel, denn anders als viele denken, wurden nicht Moscheen verboten, wohl aber die spitzen Türme. Die Abstimmung war letztlich ein Symbol: Die Bevölkerung wollte ein Zeichen setzen, aber keine Diskriminierung von Menschen auslösen.

Die deutsche Demokratie könnte von der Schweizer Praxis einige Erfahrungen mitnehmen

Volksentscheide sind ein heilsames Mittel, um Bürger und Politiker in die Verantwortung zu nehmen, sich nicht um die Sorgen der Menschen zu drücken, bloß weil diese unangenehm sind. Politiker müssen die echten Themen aufnehmen und dürfen sich nicht vor unbequemen Entscheidungen drücken, auch wenn diese Medienschelte bedeuten oder nicht in den politischen Mainstream passen. Volksentscheide entlarven charismatische Populisten, bevor sie mächtig werden. Die Sachpolitik schafft eine engere Verbindung zwischen Politik und Bürgern und stärkt die Demokratie gegen extremistische Einflüsse. Plebiszite wie Initiativen oder Referenden sind eine Schranke für Inaktivität im Parlament, so dass sich die Kluft zwischen den Volksvertretern und der Bevölkerung nie zu stark aufbauen kann. Dies wirkt in beide Richtungen: Parlament und Volk korrigieren sich gegenseitig – überbordet das Parlament, gibt es ein Referendum, wenn demgegenüber das Volk mit einem Entscheid ein deutliches Zeichen setzt, kann das Parlament mit dem Umsetzungsgesetz jeweils einen vernünftigen Weg finden. Dies begünstigt, dass alle Themen und auch extreme Herausforderungen frühzeitig diskutiert und adressiert werden. Eine insgesamt mühsame und schmerzhafte, aber auch heilsame Mechanik der Macht für die Politiker und die Menschen in der Schweiz. Es lohnt sich nicht, Probleme aufzuschieben und der Souverän weiß, dass er ernst genommen wird und jede Stimme zählt.

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