Gaspedal statt Bremse: Warum die Schuldenpolitik der Koalition nicht finanziell nachhaltig ist
Die neuen Koalitionäre aus CDU/CSU und SPD bringen mithilfe der Grünen ein Milliardenpaket auf den Weg und demontieren die Schuldenbremse. Das ist finanzpolitisch nicht nachhaltig, argumentiert Albrecht Ritschl. Und er zeigt auf, wie das noch geändert werden kann.
Verteidigung und Infrastruktur in Deutschland sollen mit gewaltigen Schuldenprogrammen auf Vordermann gebracht werden. Aber sind diese Sondervermögen auch finanziell nachhaltig? Wird die Schuldenbremse durch ein Schulden-Gaspedal ersetzt? Befürworter und Gegner des Programms haben sich bereits in Stellung gebracht, wie so oft entlang der üblichen ideologischen Trennlinien. Und die erste Runde ist an die Befürworter gegangen, ohne dass die Finanzierungsfragen gelöst worden sind. Aber es gibt Wege, die Sondervermögen nachhaltig zu machen, ohne ihnen die Flexibilität zu nehmen.

Die fehlende Nachhaltigkeitskomponente
Zwei Schuldenprogramme stehen bekanntlich zur Entscheidung an. Das Sondervermögen Infrastruktur, auf Wunsch der Grünen mit einer Klimakomponente versehen, wird auf 500 Mrd Euro beziffert. Für das Sondervermögen im Bereich Verteidigung werden keine festen Zahlen genannt. Investitionen in diesem Bereich, die den Wert von 1% des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, werden von der Schuldenbremse ausgenommen. Die Schuldenbremse selbst, ein Verschuldungsdeckel von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts, wird an die Länder gleichsam vererbt. Rein rechnerisch würde sich der öffentliche Schuldenstand allein durch das Sondervermögen Infrastruktur um 20% erhöhen, d.h. von gegenwärtig 63 % auf knapp 76% des BIP. Nimmt man nochmals 500 Mrd Euro für den Verteidigungsfonds an, läge ebenso mechanisch gerechnet die öffentliche Verschuldung bei mehr als 88% des BIP. Das ist kein kleiner Schritt – in Friedenszeiten hat die Verschuldung des Staates in Deutschland selten oberhalb von 65% des BIP gelegen.

Rasch ist diesem Konzept fehlende finanzielle Nachhaltigkeit vorgeworfen worden. Dem Sondervermögen Verteidigung fehlt ein Deckel. Das ist konstruktionsbedingt: „Whatever it takes“- die magische Formel, mit seinerzeit Mario Draghi die Rettungsaktion der Europäischen Zentralbank für Südeuropas Finanzen verkündete, ist hier das Motto. Die Europäische Zentralbank konnte damals mit der Ankündigung, in beliebigem Maß zu intervenieren, die internationalen Finanzmärkte wirksam beruhigen. Diese Idee scheint Pate zu stehen. Mit einer beliebig hohen Aufrüstung zu drohen, ist durchaus glaubwürdig. Die industriellen Fähigkeiten sind vorhanden, der finanzielle Spielraum ist da. Finanziell nachhaltig ist es allerdings nicht unbedingt.
Das Sondervermögen Infrastruktur beträgt mit 500 Mrd. das Vierfache der gesamten öffentlichen Investitionen in Deutschland im Jahr 2024. Das finanzielle Nachhaltigkeitsproblem dieses Sondervermögens ist doppelter Natur. Das eine sind Mitnahmeeffekte. Ohnehin geplante Investitionen, die wegen der Schuldenbremse aus Steuereinnahmen finanziert wurden, könnten jetzt auf das Sondervermögen umgebucht werden. Das setzt Mittel frei, die für andere Zwecke verwendet werden können – Spielgeld für Politiker, um ihre Klientel zu bedienen, von den Babyboomern bis zu den Landwirten. Ein zweites Nachhaltigkeitsproblem sind die Folgekosten. Die Mehrheit der Investitionen im Bereich der Infrastruktur wird von den Ländern und Gemeinden getragen, die aber mit Einnahmen unterversorgt sind. Dies und weniger die Schuldenbremse ist ein Haupthindernis für die Ausweitung der Investitionen. Zunehmend belastet mit der Durchführung von Bundesaufgaben besonders im Sozialbereich, können Länder und Gemeinden die Folgekosten öffentlicher Investitionen nicht mehr stemmen. Schon seit langem sinkt der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP in Deutschland, die Schuldenbremse hat hieran keinen sichtbaren Anteil. So werden etwa Investitionsmittel des Bundes für die Gemeinden in beträchtlichem Umfang nicht abgerufen. Auf zehn Jahre angelegt, würde bei gleichmäßiger Verausgabung das Sondervermögen eine Steigerung der öffentlichen Investitionen um 40% jährlich gegenüber dem jetzigen Stand voraussetzen. Dazu wird es nicht kommen, so viel scheint sicher.

Wie kann man die Sondervermögen finanziell nachhaltiger machen? Soll man das überhaupt versuchen oder das Konzept insgesamt verwerfen? Nicht jeder will weg von der Schuldenbremse. Fachleute haben gute Gründe für eine prinzipielle Beibehaltung der Schuldenbremse vorgetragen, und nur kleinere Flexibilisierungen vorgeschlagen. Geht man dagegen auf dem Weg der Sondervermögen ganz von der Schuldenbremse ab, können unangenehme Entscheidungen vertagt und Lasten auf künftige Generationen verschoben werden. Die für eine nachhaltige Finanzierung höherer Verteidigungslasten und Infrastrukturinvestitionen langfristig notwendige Umschichtung von Haushaltsmitteln kommt dann womöglich nicht zustande. Es ist gut möglich, dass der Klageweg nach Karlsruhe beschritten werden wird. Denn die geplanten Sondervermögen in ihrer jetzigen Form bringen einen durchgreifenden Richtungswechsel der Verschuldungspolitik ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit. Ob das Bundesverefssungsgericht bereit ist, den jetzt eingeschlagenen Rückweg zu einer radikalkeynesianischen Auffassung des Staatsschuldenproblems wie in der Großen Finanzreform von 1969 mitzugehen und die Prinzipien seines Urteils zur Schuldenbremse von 2024 zu ignorieren, scheint zumindest fraglich.
Die Sondervermögen nachhaltig machen: zwei Ansätze
Man kann aber die Grundidee der Sondervermögen erhalten, ohne die Nachhaltigkeit der deutschen Schuldenpolitik aus den Augen zu verlieren. Benötigt wird eine atmende Regel, sollen die gegenwärtigen Planungen für Sondervermögen ihren Zweck erfüllen können und zugleich gegenüber einer möglichen Nachhaltigkeitsprüfung durch das BVerfG robust sein. Für die anstehenden, unabweisbaren Aufgaben ist ein flexibler Rahmen erforderlich. Darin liegt der richtige Kern der gegenwärtigen Vorschläge. Jedoch bedarf es gleichzeitig eines vorgegebenen Pfads für die Rückkehr zu einer nachhaltigen Haushaltsfinanzierung. Zwei Vorschläge, wie dies aussehen könnte:
- Das Sondervermögen Bundeswehr wird mit einer Regel für den langfristigen Übergang zur Finanzierung aus Steuermitteln versehen. Über einen gestreckten Zeitraum von zB 10 Jahren wird die nachhaltige Finanzierung des Verteidigungshaushalts aus Steuern in kleinen Schritten wiederhergestellt. Dazu wird die Freigrenze von der Schuldenbremse schrittweise angehoben. Bildlich gesprochen: die jetzt konstruierte Schulden-Rakete erhält einen Schutzschild für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre und einen Bremsfallschirm für das Aufsetzen auf dem Erdboden. Um das praktisch zu verdeutlichen, sei angenommen, der Verteidigungshaushalt werde perspektivisch auf 4% des BIP erhöht. Nach dem jetzigen Plan könnten drei Viertel dieser Erhöhung durch Schulden abgedeckt werden. Das kann aber nicht auf Dauer durchgehalten werden. Vorgeschlagen wird, diese Ermächtigung zeitlich zu begrenzen und schon jetzt einen allmählichen Übergang zurück zur Steuerfinanzierung festzuschreiben. Dazu wird die Freigrenze für die Verschuldung in kleinen Tippelschritten von jetzt 1% über 10 Jahre hinweg auf 4% angehoben. In jedem Jahr steht also weniger Verschuldungsspielraum zur Verfügung. Nach 10 Jahren muss der Verteidigungshaushalt vollständig durch Umschichtungen finanziert sein. Dieser Umschichtungsbedarf bildet recht gut die tatsächlich entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten ab. Denn langfristig muss umgeschichtet werden, um eine Entwertung der Schulden oder eine Inflaton zu vermeiden – there is no such thing as a free lunch.
- Das Sondervermögen zur Infrastruktur wird mit einem Investitionszuschlag zur Einkommensteuer abgesichert ähnlich dem Solidaritätszuschlag nach der deutschen Einheit. Dieser Zuschlag reicht mindestens aus, um die Zinslast des SVIS zu tragen und einen Beitrag zur Tilgung zu leisten. Seine Erträge kommen weitgehend den Ländern und Gemeinden zugute, ohne dass die Länderanteile an den sogenannten Gemeinschaftssteuern gekürzt werden dürfen. Bei einem Zinsatz von 3% und einem Sondervermögen von 500 Mrd. Euro liegen allein die jährlichen Zinskosten bei 15 Mrd Euro. Deren Ausschüttung an die Länder zur Bewältigung der Folgekosten würde eine wesentliche Investitionsbremse beseitigen und dazu beitragen, dass Mitnahmeeffekte besonders auf Bundesebene eingedämmt werden. Die hier betrachteten Kosten entstehen auf alle Fälle. Ein Investitionszuschlag macht diese Kosten für die Steuerzahlenden sichtbar und stellt eine echte Gegenfinanzierung sicher. Eine Nachhaltigkeitsprüfung durch das BVerfG wäre dann unproblematisch.
Die hier diskutierten überschlägigen Zahlen sind nach oben skalierbar, aber nicht beliebig nach unten. Wollte man zu niedrigeren Werten kommen, würde das auf Kosten der Tilgung gehen und damit der Nachhaltigkeitskomponente. Nur beim Einschwenken der Volkswirtschaft auf einen langfristig höheren, gleichgewichtigen Wachstumspfad könnte dann eine Schuldenfalle vermieden werden. Das wäre allerdings gleichbedeutend mit dem Wirtschaften nach dem Prinzip Hoffnung. Noch selten in der jüngeren Geschichte ist es gelungen, eine nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisierte Volkwirtschaft auf einen nachhaltig höheren Wachstumspfad umzusteuern. Besser ist es, bereits jetzt eine finanzielle Nachhaltigkeitskomponente in den Plänen festzuschreiben.
Ausblick
Die jetzigen Sondervermögen sind ein Tritt aufs Schulden-Gaspedal. Mit der Freigabe militärischer und sicherheitsrelevanter Investitionen und dem üppigen Sondervermögen für andere Investitionen wird die Schuldenbremse nicht nur gelöst, sondern zerlegt und ausgebaut. Das ist nicht nachhaltig. Irgendwann muss wieder konsolidiert werden, will man Schuldenkrisen oder Inflationen in der Zukunft verhindern.
Niemand will einen Rennwagen ohne Bremse fahren. In diesem kurzen Beitrag sind zwei Wege aufgezeigt worden, wie man jetzt die nötige Flexibilität bei Ausgaben und Schulden erreichen und langfristig dennoch zur Stabilität zurückkehren kann. Will man jetzt mehr Schulden, kann man die Schuldenbremse lösen. Das ist gut und richtig. Aber gleich die Bremsschläuche zu durchschneiden – das wäre töricht.