Wir brauchen keine Solarzellen “Made in Germany”
Industriepolitik droht zum Reflex zu werden. Wir sollten ihre Effektivität nicht überschätzen, argumentiert Konstantin Bätz.
Die Abhängigkeit von russischem Gas hat uns kollektiv traumatisiert. Hinter jedem Import wittern wir nun eine potenziell existentielle Abhängigkeit. Gerade erst haben wir uns unter großen Schmerzen von russischer Energie gelöst, nun drohen schon die nächsten Abhängigkeiten: Von nordamerikanischem LNG und chinesischen Solarmodulen.
Industriepolitisches Mitläufertum
Im 21. Jahrhundert soll unsere Ökonomie nicht nur mit nachhaltigen statt fossilen Energien gespeist werden, sondern auch Abhängigkeiten abbauen und resilient werden. Das Ziel einer grünen High-Tech-Volkswirtschaft rechtfertigt Industriepolitik: 2,6 Milliarden Euro für die Stahlindustrie im Saarland, zehn Milliarden Euro für Intel, Industriestrompreis. Und auch um Subventionen für die Photovoltaik-Industrie wird gerungen.
Der Fairness halber: Deutschland ist damit international keineswegs allein. Die Biden-Administration hat mit dem „Inflation Reduction Act“ gewaltige Subventionssummen für die grüne Transformation von Kernindustrien bereitgestellt und schützt gleichzeitig heimische Autobauer mit Zöllen vor billiger chinesischer Konkurrenz. In China wiederum ist Industriepolitik fest im System verankert und keine Schlüsselindustrie existiert ohne politischen Einfluss.
Doch wir laufen Gefahr, aus dem Sanktionskonflikt mit Russland „zu viel“ zu lernen und über das Ziel der Resilienz hinaus in die Autarkie zu schießen. Der Welthandel mit seinen globalen Lieferketten hat Deutschland zu einem maßgeblichen Gewinner der Globalisierung gemacht. Zugespitzt: Zweifellos profitiert China vom subventionierten Export seiner Solarmodule nach Europa – aber wir tun es auch.
Ein Plädoyer für den Welthandel
Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass unsere Wertschöpfungsketten nicht ohne Grund globalisiert sind. Die Spezialisierung und der Austausch von Gütern zwischen Ländern ermöglichen es jeder Volkswirtschaft, ihre Produktionsfaktoren effizienter zu nutzen, als sie dies in einer protektionistischen Welt könnten. Dies führt nicht nur zu einer größeren Produktvielfalt, sondern auch zu niedrigeren Preisen für die Endverbraucher, auch hier in Deutschland. Jedes Land kann sich so auf jene Industrien konzentrieren, in denen es besonders wettbewerbsfähig ist, und gleichzeitig von den komparativen Vorteilen anderer Nationen profitieren.
Dieses Prinzip hat nicht nur das globale Wirtschaftswachstum der letzten Dekaden angetrieben, sondern auch Milliarden von Menschen im globalen Süden aus der Armut gehoben.
Zwei Aspekte stehen hier gegenüber: Einerseits muss der Staat seine Bevölkerung vor Abhängigkeiten von anderen Mächten schützen, wie es sukzessive deutsche Regierungen bei russischem Gas verpasst hatten. Andererseits ist der Welthandel ein Motor des Wachstums und der Armutsbekämpfung, von dem auch deutsche Verbraucher profitieren.
In Anbetracht dieses Zielkonflikts müssen für jede Industrie vorsichtige Abwägungen getroffen werden: Zwischen den Vorteilen des Handels und den potenziellen Nachteilen durch geopolitische Abhängigkeiten. Überwiegen die Nachteile, muss die Politik diese Abhängigkeiten abbauen, um nicht erpressbar zu sein – zum Beispiel im Fall eines Militärkonflikts um Taiwan.
In und um die Solarbranche wird diese Diskussion in Deutschland immer wieder geführt. Die Herstellung von Solarmodulen steht stellvertretend für eine grüne High-Tech-Industrie, mit der man sich auch politisch schmücken kann. Bei diesem Energieträger möchte man sich nicht erneut – wie bei russischem Gas – von einer Autokratie abhängig machen, mit der man im geopolitischen Wettbewerb steht. Doch die Analogie zwischen Erdgas und Solarzelle hinkt.
Solarmodule sind keine natürlichen Ressourcen
Anders als (russisches) Gas sind (chinesische) Solarmodule keine natürlichen Ressourcen, die sich in Strom oder Wärme umwandeln und dann verbraucht sind. Ein einmal aufgestelltes Modul hört nicht auf, Strom zu produzieren, wenn China die Lieferung weiterer Module einstellt.
Sowohl bei Gaskraftwerken als auch in Solarzellen wird ein Energieträger (Gas, Photonen) in Strom umgewandelt. Die Abhängigkeit von russischem Gas war eine Abhängigkeit von permanentem Nachschub dieses Energieträgers. China liefert jedoch nicht den Energieträger Sonne, sondern die Technologie, um diesen in Strom umzuwandeln.
Die Kapazität zur Stromproduktion aus Solarmodulen, die sich bereits am Netz befindet, ist somit gerade nicht in der Hand Chinas – und kann deshalb auch nicht für geopolitische Spielchen ausgenutzt werden.
Falls sich China morgen entscheiden sollte, keine Solarmodule mehr zu liefern, bricht die Verstromung von Sonne nicht plötzlich zusammen.
Sollte sich eine chinesische Regierung entscheiden, die Lieferung von Solarmodulen einzustellen, käme dies – um in der Analogie der Abhängigkeit von Russland zu bleiben – einer nicht-Lieferung von Gasturbinen gleich. Unmittelbar können Gaskraftwerke ohne neue Turbinen wie gewohnt Strom und Wärme produzieren, aber mittel- und langfristig sind Reparaturen notwendig. So verhält es sich auch mit Solarmodulen. Wenn Lieferungen ausbleiben, kann keine neue Kapazität aufgebaut werden und der bestehende Kapitalstock verschleißt.
Ob und wie gefährlich dies für unsere Energieversorgung ist, hängt davon ab, wie schnell im Notfall Substitute aus heimischer Produktion oder von Verbündeten geliefert werden können.
Solarmodule sind leichter zu bauen als „cutting edge“ Chips
Genau wie die allgegenwärtigen „cutting edge“ Nanochips, die unsere Smartphones, Waschmaschinen, Laptops und Autos zu mini-Computern machen, bestehen auch die Solarzellen in Solarmodulen aus Halbleitern.
Jedoch unterscheiden sie sich „cutting edge“ von Solarchips entlang zweier Achsen: Erstens sind sie in der Fertigung weniger komplex, zweitens verfügen wir bereits über die technischen Voraussetzungen, diese am heimischen Markt zu produzieren.
Selbst wenn Deutschland von heute auf morgen autark werden müsste, würde der Aufbau einer Solarzellenindustrie zwar teuer werden, aber Fachwissen und Kapital sind vorhanden eine solche Industrie vergleichsweise einfach aufzubauen. Dies ist anders als zum Beispiel bei den modernsten Halbleiterchips, die nur in Taiwan hergestellt werden können.
China hat mächtigere Instrumente
Die Forderungen nach industriepolitischer Förderung einer deutschen Solarmodulindustrie basiert auf der Annahme, dass China unsere Abhängigkeit ausnutzt und, zum Beispiel im Falle eines Krieges um Taiwan, die Solarmodulexporte nach Europa abschneidet.
Auf der Liste an instrumentalisierbaren Handelsströmen stehen Solarmodule jedoch nicht weit oben. Abhängigkeiten von Medikamenten oder von kritischen Rohstoffen bergen ungleich mehr politischen Sprengstoff. Das Fehlen von Medikamenten hat direkte negative Folgen für die große Zahl an Deutschen, deren Gesundheit unmittelbar eingeschränkt würde. Und kritische Rohstoffe stehen – ähnlich wie der Energieträger Gas – am Beginn vieler für die deutsche Wirtschaft essenzielle Wertschöpfungsketten.
Kein Handel ist auch keine Lösung
Man mag durchaus argumentieren, dass wir aus humanitären Gründen keine Solarzellen aus China importieren sollten. Aber diese Argumentation führt schnell weg von energiepolitischen Erwägungen hin zur generellen Frage nach der korrekten Ausrichtung deutscher China-Politik. Ich habe an anderer Stelle argumentiert, warum Decoupling nicht sinnvoll ist. In jedem Fall bietet eine imaginäre Verwundbarkeit durch Abhängigkeit von chinesischen Solarmodulen hier keine argumentative Schützenhilfe.
Beim Abbau von geoökonomischen Abhängigkeiten sollten wir nicht die letzte Schlacht schlagen, sondern unsere politische Aufmerksamkeit auf die wirklich kritischen Felder wie Medikamente und Rohstoffe lenken.
Dort kann auch Industriepolitik, neben Diversifizierung hin zu anderen Handelspartnern, Teil der Lösung sein. Aber nicht alle modernen Technologien— auch Solarzellen nicht — müssen in deutscher Autarkie gefertigt werden.