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Debatte statt Urteil

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Rasmus Wittekind
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Energie
Democracy

Klimaschutz muss eine politische und keine richterliche Entscheidung sein, argumentiert Rasmus Wittekind.

Würde der Erfolg von öffentlichen Protesten ausschließlich an der Schärfe der erzeugten Reaktionen gemessen, hätten Akteure der deutsche Klimaschutzbewegung mit der Betitelung als „Klima-RAF“ oder „Klimaextremisten“ und den darauf folgenden Forderungen nach geheimdienstlicher Überwachung alle Ziele erreicht. Das Verschärfen der Protestformen von freitäglichen Demonstrationen über Hungerstreiks, dem Werfen von Kartoffelbrei auf Kunstgegenstände hin zur Blockade von Straßen hat zu immer mehr Aufmerksamkeit aus Politik, Kultur, Medien und Gesellschaft geführt. Die gesteigerte Aufmerksamkeit für die genutzten Protestformen bringt zugleich ein Problem mit sich. Denn durch die erregte Debatte über Für und Wider, über Legitimität und Legalität solcher Akte des zivilen Ungehorsams wird der Protestinhalt überlagert.

Umgekehrt verhält es sich aktuell in einem Feld, in dem etablierte Akteure der Klimabewegung ihre inhaltlichen Forderungen ohne große Aufmerksamkeit durchsetzen: mit strategischer Prozessführung an deutschen Gerichten. Die strategisch eingereichte Klage dient als Mittel um Beschlüsse zu erwirken, die über den Einzelfall hinaus transformierend auf die gesamte Gesellschaft wirken. Paradigmatisch dafür steht das „Klimaurteil“ des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2021, das Teile des 2019 verabschiedeten „Klimaschutzgesetzes“ für unvereinbar mit den Grundrechten erklärte und Nachbesserungen verlangte. Weitere Verfahren wie die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE oder der Deutschen Umwelthilfe gegen deutsche Automobilkonzerne stehen noch vor der Entscheidung, werden ebenfalls Signalwirkung haben.

Image by Sang Hyun Cho from Pixabay

Gerade die Signalwirkung erfolgreicher strategischen Prozessführung macht sie zu einem Mittel, das Schule machen könnte. Daher muss über die Konsequenzen und mögliche Nebenwirkungen für die politische Bürgergemeinschaft nachgedacht werden. Aus demokratietheoretischer Perspektive lassen sich drei Einwände erheben:

I. Entpolitisierung des Politischen

Die im Politischen verorteten Momente der Freiheit, Autonomie, Beteiligung, und des Streitens sind zentrale Elemente moderner Demokratie. Die strategische Prozessführung untergräbt diese Elemente, indem sie den Bereich des Politischen gezielt aus- und die Judikative der Politik vorschaltet. Dabei werden Gerichte instrumentalisiert, um bestimmte politische Ziele vorzugeben (wie im Fall der Klagen gegen BMW und Mercedes) oder aber konkrete Durchsetzungen von politisch nur vage bestimmten Maßgaben zu erzwingen (im Fall der „Klimaklage“). Haben die Klagen Erfolg, folgt eine Vorgabe für gesamtgesellschaftliche Transformation, also politisches Handeln, durch einen Rechtsentscheid und damit von einem Bereich aus, der außerhalb des Politischen selbst liegt. Das Politische verliert damit gerade die Fähigkeit der freien Zielsetzung, die es als Ort freien Handelns markiert. Indem die zivilgesellschaftliche Debatte umgangen wird, wird die Bürgergemeinschaft entpolitisiert und damit marginalisiert.

Habt Mut! Zu mehr Demokratie, zu mehr Streit und zu weniger Klagen.

II. Entpolitisierung der Politik und Politisierung der Gerichte

Das Feststellen des menschengemachten Klimawandels und die Prognose seiner Konsequenzen sind vor allem eine Leistung der Naturwissenschaften und ihrer Methoden und Modelle. Auf Basis Ergebnisse wurden die bekannten Prognosen zum noch verfügbaren CO2-Budget und Kippunkten des Erdsystems entwickelt. Was sie angeht, herrscht in der Wissenschaft grundsätzlich Einigkeit. Uneinigkeit besteht dagegen über die zu ergreifenden Maßnahmen.

Werden in Klagen konkrete Verbote (z.B. der Verkaufsstopp von Verbrennerautos ab 2030) gefordert, werden von Gerichten Entscheidungen verlangt, für die sie nicht kompetent sind. Denn Richter*innen sind zwar darin geschult, über rechtliche Fragen zu urteilen, haben aber keine Qualifikation zur Beantwortung wissenschaftlicher Prognosefragen. Sie können nicht sinnvoll entscheiden, ob ein Verkaufsstopp für Verbrennungsmotoren im Vergleich zu allen anderen Möglichkeiten ein in seinen ökologischen und ökonomischen Konsequenzen angebrachtes und unabdingbares Mittel im Kampf gegen den Klimawandel darstellt. Wollen sie eine solche Entscheidung treffen, sind sie auf Expertise aus der Wissenschaft angewiesen.

Holen Gerichte wissenschaftliche Expertise ein und treffen auf ihrer Grundlage eine definitive Entscheidung, wird ein doppelter Auslagerungsprozess vollzogen: Erstens wird eine politische Entscheidung zu einer juristischen gemacht. Dabei wird die Politik verrechtlicht, während die Gerichte als politische Akteure auftreten und so politisiert werden. Zweitens wird der juristisch Entscheidungsfall in einen wissenschaftlichen überführt. Dies ist eine Epistemisierung der Rechtsprechung: Rechtsfragen werden als durch (natur)wissenschaftliche Erkenntnisse eindeutig entscheidbar dargestellt. Im Gegenzug erfolgt eine Politisierung der Wissenschaft, die als Partei in politische Auseinandersetzungen gezwungen wird.

Indem Gerichte und wissenschaftliche Expertise gesellschaftsleitende Funktion ein- und die Rolle des Politischen übernehmen, werden dessen notwendige Vollzugsweisen ausgehebelt. Denn die öffentliche Partizipation in Debatte und Wahl entfällt. In der Konsequenz entsteht durch die Entmündigung von Bürgerschaft und Parlament ein Verantwortungsdefizit, weil sich die Verantwortung für Entscheidungen von gesamtgesellschaftlicher Reichweite dann nicht mehr unmittelbar auf den zivilgesellschaftlichen Streit und die Wahl zurückführen lässt. Gerade bei kritischen und umstrittenen Beschlüssen führt das zum Anerkennungsverlust der betroffenen Institutionen in Politik, Judikative und Wissenschaft. Zugleich besteht das Risiko, dass Gerichte als politische Akteure und nicht als Kontrollinstanz der Politik wahrgenommen werden.

Zweierlei ist damit nicht gesagt: Dass Gerichte sich keine Expertise durch Wissenschaft einholen sollen und dass jede konkrete Entscheidung im Parlament oder gar direktdemokratisch getroffen werden muss. Doch müssen besonders Entscheidungen des Politischen, also solche über gesamtgesellschaftliche Ziele und Mittel, aus Legitimationsgründen auf den letzten Verantwortungsträger – die Bürgergemeinschaft – zurückführbar sein.

III. Entdemokratisierung der Bürgergemeinschaft

Für das Mittel der strategischen Prozessführung spricht, dass die Politik nicht wie das Politische strukturiert ist. Gerade die Realpolitik ist von hierarchischen Machtverhältnissen und Interessenskonstellationen bestimmt, die (auch berechtigte) zivilgesellschaftliche Anliegen be- oder verhindern können. Dagegen kann die Judikative als Korrektiv in Anschlag gebracht werden. Die strategische Prozessführung wäre dann eine Form des Empowerments, der Ermächtigung der Machtlosen gegen die herrschende Ordnung. Beispielhaft dafür ist etwa der Fall Brown v board of education, der maßgeblich zum Ende der Rassentrennung in den USA beitrug. Und doch: der juristische Betrieb und gerade das Verfassungsrecht sind höchstspezialisierte Felder mit eigener Sprach- und Funktionslogik. Damit sind sie nur einer geschulten, professionellen Elite zugänglich. Was die interne Funktionsfähigkeit des Bereiches erhöht, senkt zugleich seine Zugänglichkeit von außen. Um im Rechtssystem auftreten und Ziele verfolgen zu können, sind Außenstehende von der Hilfe durch professionelle Rechtsberatung abhängig.

Dadurch ergibt sich notwendig ein Repräsentationsverhältnis, das bei einem Blick auf die Akteursnetzwerke strategischer Prozessführung deutlich wird. Es klagen nicht einzelne Betroffene, sondern hinter den Klagenden stehen spezialisierte Professionelle und Vereine mit enormem kulturellem, ökonomischem, symbolischem und sozialem Kapital. Dieses Abhängigkeitsverhältnis widerspricht nicht nur dem behaupteten Empowerment, da die Angewiesenheit auf eine Elite weiterhin besteht. Es unterläuft zusätzlich auch die im Slogan „One man, one vote“ gefasste demokratische Gleichheitsidee, nach der jeder Stimme die gleiche Erfolgschance zukommt. Denn vor Gericht zählt – zum Glück! – nur die Expertise. Gerade diese ist jedoch nicht allen gleichermaßen zugänglich.

Natürlich bestehen solche Abhängigkeitsverhältnisse auch in der Politik und auch dort sind sie ein Problem. Aber die Teilnahme an Wahlen, an politischer Deliberation und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten ist im Vergleich niedrigschwelliger. Dagegen schafft die Verrechtlichung der Politik einen neuen Flaschenhals der Beteiligung und eröffnet durch die Exklusivität des Zugangs ein Einfallstor für Lobbyismus.

Ein demokratischer Ausblick?

Strategische Prozessführung hat Vor- und Nachteile: So positiv sie in Einzelfällen wirken kann so unbefriedigend sind ihre Konsequenzen aus der demokratietheoretischen Perspektive eines konfliktaffinen Republikanismus. Aus ihr ergeben sich Entpolitisierungs-, Anerkennungs- und Gleichheitsprobleme. Aber weder die Einschränkung der Gewaltenteilung noch der Rechtsstaatlichkeit zugunsten einer entgrenzten Radikaldemokratie kann hier Abhilfe schaffen. Nur, welche Alternativen gibt es? Aus der skizzierten republikanischen Position folgen einfache Konsequenzen:

Erstens hilft es allen Seiten, politische Entscheidungen im Politischen zu verhandeln. Zweitens sichern Gerichte ihre Anerkennung und ihre Expertise für den juristischen Bereich, indem sie – etwa unter dem Verweis auf eine „Major political question doctrine“ – ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit betonen. Drittens gewinnt das Anliegen des Klimaschutzes Anerkennung und Gewicht, wenn es im Politischen und in der Politik ernsthaft verhandelt wird. Teil dieses zivilgesellschaftlichen Ansatzes ist auch das Aushalten und der produktive Umgang mit Formen des Streitens, Streikens, Schmierens und Blockierens als genuin politische Mittel. Als solche sind sie im Vergleich zur Instrumentalisierung von Gerichten nicht nur tolerierbar, sondern geradezu wünschenswert. Es folgt ein einfacher Schluss: Habt Mut! Zu mehr Demokratie, zu mehr Streit und zu weniger Klagen.

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