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Simulative Politik überwinden

Published on
Author
Dominik Gager
Tags
Energie
Democracy
Identity

Warum die Nachhaltigkeitstransformation eine ertüchtigte Staatlichkeit und Zumutbarkeitskriterien braucht, analysiert Dominik Gager.

Planetare Grenzen

Vor nunmehr rund 13 Jahren hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) anlässlich der Rio+20-Konferenz ein Hauptgutachten unter dem Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ vorgestellt und damit für die wissenschaftliche wie politische Debatte in Deutschland den Begriff einer „Großen Transformation“ zur (sozial-ökologischen) Nachhaltigkeit wirkmächtig geprägt. Der WBGU greift dabei auf das Konzept Plantarer Grenzen (oder: Planetarer Leitplanken) zurück. Werden diese überschritten, führt der globale Umweltwandel das Erdsystem in einen Zustand nicht mehr tolerierbarer Gefahren für die menschliche Zivilisation. Um ein solches Überschreiten zu verhindern, sei eine Große Transformation im Sinne Polanyis nötig. Diese Transformation umfasst das gesamte Feld der sozial-ökologischen Gestaltung der nationalen Ökonomien wie der Weltwirtschaft und der mit diesen zusammenhängenden Produktionsweisen, Konsummustern und Lebensstilen. Von der Eingriffstiefe vergleichbar sei eine solche Transformation lediglich mit der Neolithischen und der Industriellen Revolution, nur, dass im Unterschied zu diesen, die Große Transformation zur Nachhaltigkeit die erste Umwälzung dieser Eingriffstiefe ist, die planmäßig, in kurzer Zeit und global erfolgen müsse – also ein ungleich anspruchsvolleres Unterfangen ist. Im Jahr 2011 ging der WBGU davon aus, dass man nach vier Jahrzehnten von Klimapionierarbeit sich nun in einer Beschleunigung befinde und noch rund zwei Dekaden vor sich habe, um einen stabilen neuen Zustand einer klimaverträglichen und ressourceneffizienten Ökonomie zu erreichen, sofern in den nächsten zehn Jahren die richtigen Weichen gestellt werden.

Schaut man nun, mehr als zehn Jahre später, zurück, dürften Zweifel angemessen sein, ob die beschriebene Tiefe und Geschwindigkeit der Großen Transformation tatsächlich erreicht wird. Zwar kann man einzelne Entwicklungen durchaus unterschiedlich bewerten, etwa dahingehend, ob die Ergebnisse der COP28 mit dem Bekenntnis zu einer „transition away from fossil fuels“ nun erste wichtige Schritte zu einem Ende fossiler Energieträger einleiten wird oder durch den Verzicht auf ambitioniertere Zielesetzungen („phase-out“) und verbindlichere Handlungsaufforderungen erneut wertvolle Zeit verloren geht.

 

Betrachtet man jedoch das gesamte Spektrum Planetarer Grenzen, sind erhebliche Zweifel angemessen, ob die Weltgesellschaft die Kraft aufbringen wird, um den Umbau zum Erhalt der eigenen Lebensgrundlagen rechtzeitig und im nötigen Umfang voranzutreiben. Neben den Problemen im Klimaschutz gelten auch die Planetaren Grenzen in den Bereichen Unversehrtheit der Biosphäre, Landnutzungsänderung, Süßwasserverbrauch, Biogeochemische Kreisläufe und Einbringung neuartiger Substanzen als überschritten. Dies betrifft damit sechs der gegenwärtig neun untersuchten Planetaren Grenzen.

Planetare Grenzen 2009 bis 2023; Licensed under CC BY-NC-ND 3.0. Credit: “Azote for Stockholm Resilience Centre, based on analysis in Richardson et al 2023”.

Das Problem der simulativen Politik

Schaut man sich den Stand der Großen Transformation in Deutschland an, verwundern diese Befunde kaum. Anstatt aus einer Pionierphase, in der wichtige Erfolge wie die Marktfähigkeit erneuerbarer Energien erreicht wurden, in eine Beschleunigung zu gelangen und alle gesellschaftlichen Bereiche zu erfassen, bleiben die Veränderungen eher inkrementell, Ziele werden verfehlt und höchstens dadurch kompensiert, dass man umso größere Fortschritte für die Zukunft verspricht. Zu beobachten ist eher eine Art „simulative Politik“, in welcher die Notwendigkeit eines radikalen Wandels hin zu Nachhaltigkeit zwar stetig beschworen wird, ohne jedoch an der Herstellung dieser veränderten Zustände ernsthaft, zielgerichtet und in der nötigen Größenordnung zu arbeiten. Dies zeigt sich nicht zuletzt dort, wo eine Bundesregierung zur Einhaltung des eigenen Klimaschutzgesetzes verurteilt werden muss und als Reaktion darauf ankündigt, nun noch schneller an der Abschwächung der Governancestrukturen dieses Gesetzes zu arbeiten, anstatt auf der Ebene der Maßnahmen nachzusteuern. Umgekehrt sieht man selbst auf der Ebene inkrementeller Maßnahmen (wie etwa beim Bau von Windenergieanalgen oder dem Wegfall von Verkehrsraum für die Individualmobilität) vermehrt erheblichen Gegenwind.

Positive Zukunftsvisionen helfen vor allem denjenigen, die von dieser Art Vision ohnehin schon positiv angesprochen sind.

Einigermaßen holzschnittartig kann man zwei Typen von Widerstand gegen die Transformation unterscheiden. Einerseits einen weltbildgeprägten, grundsätzlichen Widerstand gegen jede Form des sozial-ökologischen Umbaus. Dieser äußert sich etwa in Klima(wissenschafts)leugnung oder verwandten Strömungen und wird organisatorisch verankert von Bewegungen wie dem Heartland-Institute in den USA oder dem „Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE)“ in Deutschland, die sich beide inhaltlich und personell mit der rechtspopulistischen Szene überlagern. Andererseits gibt es jedoch auch einen weniger weltbildgeprägten Widerstand, den man besonders auf der lokalen Ebene bei Mikrotransformationskonflikten feststellen kann. Unter „Mikrotransformationskonflikten“ verstehe ich dabei Konflikte, die eher lokalen Charakter haben, sich an konkreten Maßnahmen entzünden, kein geschlossenes anti-ökologisches Weltbild voraussetzen und bei denen die Notwendigkeit der sozial-ökologischen Transformation nicht grundsätzlich geleugnet wird. Gleichwohl werden die Maßnahmen, die auf den sukzessiven Umbau der Gesellschaft einzahlen sollen, auch durch Mikrotransformationskonflikte bis fast zum Stillstand gelähmt. Man kann diese durchaus auch auf höheren politischen Ebenen sehen, wie etwa beim Widerstand gegen die umgangssprachlich „Heizungsgesetz“ genannte Reform des GEG (wo insbesondere angestrebt wird, dass bei Neubauten und Austausch Heizungen mit mindestens 65 Prozent Erneuerbarer Energie eingebaut werden müssen) oder, je nach ideologischer Motivation, bei den jüngsten Bauernprotesten. Besonders gut sieht man Mikrotransformationskonflikte jedoch bei Bemühungen in Städten und Gemeinden, den öffentlichen Raum neu zu gestalten, wenn temporäre oder dauerhafte Umgestaltungen zwar die gewünschten Effekte erzielen, aber dennoch erheblichen Widerstand evozieren.

Die Gründe für den Widerstand sind oft vielfältig und umfassen sowohl die Verfahren und Prozesse als auch konkret wahrgenommene Benachteiligungen (Existenzangst im Einzelhandel, Parkplatzsuche für Anwohner, Umstellung von Lebensgewohnheiten, Kosten etc.). Auch wenn dieser Widerstand weniger grundsätzlich ist, ist er deshalb für die Transformation nicht weniger lähmend. Vielmehr bindet er in erheblichem Umfang die Kapazitäten von Politik und Verwaltung und bremst damit auch eine notwendige Skalierung solcher Maßnahmen schon in der Frühphase aus. Anstatt einer Beschleunigung und Stabilisierung der Transformation ist eher ein „Lock-in-Pfad“ zu beobachten. Auch finden sich unterschiedliche Teile der Verwaltung sowie die dortigen Mitarbeiter*innen schnell in Ziel- und Interrollenkonflikten wieder, so dass Mikrotransformationskonflikte nicht nur das Verhältnis Verwaltung-Öffentlichkeit, sondern auch Verwaltungsverhältnisse selbst betreffen.

 

Lösungsansätze, diesen Beinahe-Stillstand zu überwinden, sind bisher kaum zu erkennen. Der Werkzeugkasten auf der lokalen Ebene scheint hier im Wesentlichen aus Best-Practice-Beispielen, dem Evozieren positiver Zukunftsvisionen und insbesondere in immer vielfältigeren Formen der Partizipation und Co-Kreation zu bestehen. Allen drei Formen ist letztlich gemein, dass sie implizit davon ausgehen müssen, Widerstand und Konflikten verschwänden letztlich durch Einsicht. Man schaue sich gelungene Projekte vom Nahverkehr in Kopenhagen über Radverkehr in den Niederladen bis zur Fassadenbegrünung in Mailand an (Best Practice), man evoziere Bilder von begrünten Orten im Jahr 2045 (Zukunftsvisionen) oder man lade Alle am Ort zur gemeinsamen Projektentwicklung ein (Partizipation/Co-Kreation) und sodann wird man gemeinschaftlich den nachhaltigen Umbau vor Ort erreichen. Auch wenn diese Strategien sinnvolle Bausteine transformativer Prozesse sein können, bewähren sie sich jedoch nicht dahingehend, als dass sie in der Lage wäre, Mikrotransformationskonflikte hinreichend zu adressieren.

Best-Practice-Beispiele sind mit grundsätzlichen methodischen und praktischen Zweifeln hinsichtlich Übertragbarkeit und Skalierbarkeit konfrontiert. Positive Zukunftsvisionen helfen vor allem denjenigen, die von dieser Art Vision ohnehin schon positiv angesprochen sind, aber verkennen die Breite von gesellschaftlichen Mentalitäten mit Blick auf die sozial-ökologische Transformation. Und co-kreative Prozesse können sicherlich eine Reihe von positiven Potentialen heben, sind aber eben keine Akzeptanzbeschaffer. Als Akzeptanzbeschaffer missverstanden negieren sie den politischen Charakter der Transformation und suggerieren, man könne für jede Veränderung eine gewissermaßen pareto-optimale Lösung erarbeiten, bei der niemand schlechter gestellt wird oder falls doch einmal, es zumindest noch eingesehen und akzeptiert wird (nach einer ähnlichen Logik funktioniert auch die Förderpolitik auf Bundesebene, die Umweltschutz und Umweltschädigung gleichzeitig fördert). Zudem sprechen partizipative Ideen in der Regel auch nur diejenigen Bürger*innen an, die über hinreichendes soziales, finanzielles und kulturelles Kapital verfügen, um überhaupt in einen interaktiven Prozess mit Behörden treten zu können. In der Überstrapazierung von Partizipation und Co-Kreation bleiben die normative Grundlagen eines vor allem auf Moderation basierenden Staatsverständnisses meist unreflektiert. Dieses geht zurück auf die Institutionalisierung von Bürokratiekritik in den 1970er/80er-Jahren und Ideen eines „New Public (Value) Management“.

Zum Ideal wird ein Bild des Staates, der in erster Linie einen Wertepluralismus moderieren soll und Bürger*innen als gleichberechtigte Koproduzent*innen öffentlicher Aufgaben behandelt. Eine solche Perspektive, so arbeitet es unter anderem Wolfang Seibel heraus, will das Bild des Öffentlichen vom Staat lösen und läuft Gefahr, sowohl dem Werterelativismus als auch der Verantwortungsdiffusion anheim zu fallen. Zugleich ist dieses Bild gedanklich und historisch verwandt mit einem Dreiklang aus Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung. Es wird von Interessengruppen ins Feld geführt, die bestimmte Formen staatlicher Herrschaft nicht akzeptieren wollen.

Gegen eine solche Perspektive ist ins Feld zu führen, dass sich die Aufgabe von Staat, insbesondere von Politik und Verwaltung, nicht darin erschöpft, einen Wertepluralismus zu moderieren. Seine Kernaufgabe besteht stattdessen in der Förderung des Gemeinwohls, was über Moderation hinaus geht und eine aktive Rolle des Staates verlangt. Dieser ist schon qua Grundgesetz nicht (völlig) inhaltlich neutral. Dies zeigt sich etwa in der Festlegung auf bestimmte Grundrechte und Staatsstrukturprinzipien, aber insbesondere auch in Staatszielbestimmungen wie dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen einschließlich der Generationsgerechtigkeit. Nicht zuletzt besteht ein Qualitätsmerkmal der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes gerade darin, in ihren Vermittlungsinstanzen auch Fachlichkeit und Rationalität befördern und einfordern zu können.

Der Gedanke, dass Gemeinwohlbelange und öffentliche Interessen mehr sind als die Moderation privater Interessen ist dabei nicht bloßes Relikt einer naiven Planungseuphorie, die in den 1970ern Höhepunkt und Enttäuschung fand. Spätestens seit der Corona-Pandemie und der seitdem anhaltenden multiplen Krisenerfahrung wird ersichtlich, dass staatliche Steuerung und fachlich fundierte Abschätzungen über Ziele und dafür notwendige Zweck-Mittel-Verhältnisse, unverzichtbar sind. Im Bereich der Nachhaltigkeitstransformation und der Planetaren Grenzen sucht man dergleichen jedoch oft vergeblich. Den teilweise noch rationalen Zielsetzungen (man denke an das 1,5°-Ziel) stehen unverbunden auf der Maßnahmenebene sowohl eine Ambitions- als auch eine Umsetzungslücke gegenüber.

Ein wesentliches Defizit dürfte in diesem Zusammenhang die ängstliche Kommunikation von Politik und Verwaltung sowie der Vermeidungswunsch im Bezug auf Verteilungskonflikte sein. Während in der Corona-Pandemie eine klare Bedrohungssituation kommuniziert wurde, findet dies bei Planetaren Grenzen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Trinkwasserverfügbarkeit kaum statt. Diese weit größere Bedrohungslage wird dabei wohl einerseits aufgrund der längeren bis unklaren Zeitskala und andererseits aufgrund der unvergleichlich größeren Veränderungsbedarfen verschleiert.

Drei konkrete Schritte

Für eine echte Nachhaltigkeitstransformation wäre es demgegenüber erforderlich, dass erstens das Ausmaß der Krise und die damit verknüpften drastischen Veränderungen gegenwärtiger Lebens- und Produktionsweisen klar kommuniziert werden. Zweitens wäre klar zu machen, dass diese Veränderungen nicht als Nullsummenspiel vorstellbar sind, sondern dass es nicht anders zu erwarten ist, als dass erhebliche, auch äußerst unkomfortable Veränderungen der Produktions- und Lebensweisen ins Haus stehen. Dies würde drittens dann auch eine Basis für eine ehrliche Diskussion bereiten, wie Nutzen und Lasten zu verteilen sind und welche transformativen Zumutungen wem gegenüber zu rechtfertigen oder nicht zu rechtfertigen sind.

Der Verzicht auf die Entwicklung solcher normativer Kriterien scheint mir ein wesentlicher Aspekt gegenwärtig aufkommender Müdigkeit gegenüber einer Transformation zu sein, gleichwohl sie noch kaum begonnen hat. Denn wenn in einer Darstellung, in der alles für alle besser wird und niemand Einschnitte zu befürchten hat, Menschen Einschnitte dann doch sehr wohl spüren – ob dies bei Energiearmut, Mobilitätsbedürfnissen oder einfach nur der Umstellung von Gewohnheiten oder abstrakter Machtlosigkeitsgefühle ist – dann werden diese Zumutungen negiert und es findet auch kein Aushandlungsprozess darüber statt, wie diese fair zu verteilen sind. Viertens schließlich ist eine ernst gemeinte Transformation nicht denkbar ohne eine „ertüchtigte Staatlichkeit“ (Uli Klüh). Die Ertüchtigung des Staates zur Transformation beinhaltet zum einen, dass gesellschaftlichen Antagonismen Raum gegeben wird, ohne jedoch die Kontrolle über die Transformation des Gemeinwesens zu verlieren. Andererseits beinhaltet die Ertüchtigung, den Staat auf der Ebene der Kommunikation und der Steuerungsinstrumente, einschließlich des Ordnungsrahmens, des Personals und der Finanzen, so auszustatten, dass er mit der Steuerung der Transformation unter den Bedingungen der Polykrise nicht überfordert ist. Auch wenn der Staat, genau wie andere transformationsrelevante Akteur*innen, in seiner Handlungsfähigkeit aufgrund bestehender Macht- und Anreizstrukturen seine Grenzen hat, kommt der ertüchtigten Staatlichkeit eine Schlüsselfunktion für die Transformation zu. Anders dürfte ein vom WBGU skizzierter stabiler neuer Zustand einer klimaverträglichen und ressourceneffizienten Ökonomie und Gesellschaft nicht in der noch zur Verfügung stehenden Zeit zu erreichen sein.

Dieser Text hat profitiert von wertvollen Anregungen und Kommentaren von: Tim Rojek, Sonja Kleinod, Uli Klüh, Friederike Edel, Werner Stork, Konstantin Bätz und Christian Blum.

 

 

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