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Die Digitale Kluft in der Bildung: Herausforderungen für bildungsferne Zielgruppen

Veröffentlicht am
Autor
Tobias Nickel
Schlagwort
Technologie

Wird Künstliche Intelligenz die digitale Kluft in der Bildung verkleinern oder vergrößern? Dieser Frage geht Tobias Nickel in seinem Essay nach.

Als ich meine Facharbeit schrieb, war ich einer der Ersten, der einen eigenen Drucker hatte. Als ich meine Promotion schrieb, war ich einer der Ersten der Zugriff auf das Internet hatte. All dies hat mir die Arbeit enorm erleichtert. Heute steht wieder ein solcher Technologieumbruch an, aber nicht alle werden von ihm profitieren.

Das Dilemma

Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) und zusammenhängenden technologischen Fortschritten prägt immer stärker unsere Gesellschaft. Während viele das Potenzial von KI erkennen und begrüßen, muss unser Blick gleichzeitig mit wachsender Besorgnis auf die bestehenden und möglichen zukünftigen Bildungsungleichheiten fokussieren, insbesondere für bildungsferne Zielgruppen.

Bereits heute zeigt sich, dass bildungsferne Schichten es schwer haben, mit den Anforderungen des modernen Bildungssystems Schritt zu halten. Statistische Daten verdeutlichen, dass der Zugang zu Bildung und schulischer Erfolg stark mit dem sozialen Hintergrund korreliert. Ein Großteil der bildungsfernen Bevölkerungsschichten kämpft bereits jetzt mit Herausforderungen wie fehlenden Ressourcen, mangelnder Unterstützung und begrenztem Zugang zu Bildungsmaterialien. Diese Lage hat enorme Auswirkungen. So starten etwa dreimal so viele Kinder aus Akademikerhaushalten selbst ein Studium als Kinder aus nicht-akademischen Haushalten. Beim Masterabschluss ist das Verhältnis dann sogar vier zu eins.

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sieht eine Reihe von Gründen für diese Differenzen in den Chancen. Neben mentalen Barrieren, wie dem Gefühl des „nicht dazu gehören“, einer Ungleichheit bei Finanzierung und Informationsdefiziten gehört die fehlende digitale Infrastruktur dazu.

Die KI-Verstärkung

Die Sorge um die Zukunft verstärkt sich, wenn wir den Blick auf die Entwicklung von KI-Anwendungen richten. Derzeit mögen viele KI-Dienste kostenlos sein. Das liegt besonders daran, dass die Betreiberfirmen wie OpenAI, Alphabet und andere die Nutzer*innen benötigen, um ihre Systeme zu trainieren. Beispielsweise können Nutzer*innen von ChatGPT oder Microsoft Copilot diese Dienste derzeit noch umsonst oder zu vergleichsweise niedrigen Kosten nutzen.

Die Preise für fortgeschrittenere KI-Dienste werden in Zukunft wesentlich höher sein als heute, schließlich soll das Angebot für OpenAI und Co. auf lange Sicht lukrativ sein. Die für eine KI benötigte IT-Infrastruktur verursacht enorme Kosten: der CEO von OpenAI, Sam Altman, hat diese kürzlich im Wall Street Journal mit sieben Billionen Dollar beziffert – und das nur für die Chipproduktion. Für den Betrieb der Serverfarmen stehen weitere Kosten im Raum – so gehen Experten von rund einer Million Dollar am Tag an Betriebskosten aus. Die aktuellen Preise von ChatGPT4, Midjourney, Microsoft Copilot und anderen KI-Anwendungen lässt daher vermuten, dass die Anbieter*innen diese Preise zukünftig erhöhen müssen. Dies könnte zu einem ernsthaften Problem für bildungsferne Schichten werden, die möglicherweise nicht in der Lage sind, monatliche Gebühren von vielleicht bis zu 100€ zu stemmen, um von personalisierten KI-generierten Bildungsinhalten zu profitieren.

Heute ist die schulische Kluft über die Möglichkeit zu gemeinsamem Lernen mit den Eltern oder der elternfinanzierten Nachhilfe gegeben. KI könnte hier eine egalisierende Wirkung haben – oder eine spaltende.

Die Bildung

Die Auswirkungen auf die Bildung werden gravierend sein. Angefangen bei der Unterstützung bei schulischen Aufgaben bis hin zur individuellen Nachhilfe, die dank KI auf den persönlichen Wissensstand zugeschnitten ist – diese Angebote könnten für viele unerschwinglich werden.

Ein Beispiel hierfür ist der Bereich der Online-Tutoring und Lernplattformen. Immer mehr Bildungsangebote sind online, von interaktiven Lernplattformen bis hin zu virtuellen Coachings und Nachhilfe für Schüler*innen und Studierende. Wenn bildungsferne Gruppen keinen oder einen schlechteren Zugang zu KI haben, würde dies zu einem Rückstand gegenüber ihren besser ausgestatteten Mitschüler*innen führen. Beispielsweise könnte es zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft kommen – diejenigen, die mit einer Gratisversion vorliebnehmen müssen und jenen, die mit der Premium Bezahlversion viel bessere Ergebnisse erzielen. Wer schon den Unterschied zwischen ChatGPT3 und 4 erfahren hat, der kann sich ein Bild von den Auswirkungen machen. Entweder man nutzt das Wissen bis 2021 oder die gesamte aktuell im Internet vorhandene Information. Laut Statista hat sich der Datenverkehr (als Hilfsgröße für die zur Verfügung stehenden Informationen) von 2021 bis 2024 nahezu verdoppelt.

Der Mangel an Zugang zu hochwertiger KI könnte in Zukunft eine weitere Vielzahl von Nachteilen mit sich bringen.

KI wird immer stärker in Bildungsprozesse integriert, sei es durch personalisiertes Lernen, virtuelle Tutoren oder automatisierte Bewertungssysteme. Personen ohne oder mit eingeschränktem Zugang zu KI könnten Schwierigkeiten haben, von diesen Fortschritten zu profitieren, was leicht zu Bildungsdefiziten und einem Rückstand gegenüber besser ausgestatteten Mitstudierenden führen könnte.

Heutige KI-Systeme haben außerdem eine Tendenz zu halluzinieren. Aufgrund ihrer stochastischen Herangehensweise kombinieren sie einfach Wörter, die eine hohe Wahrscheinlichkeit der Passung haben. So werden oft einfach willkürlich Autoren zitiert, die nie Bücher zu dem Thema geschrieben haben, aber sehr häufig vorkommen. Um diesem Umstand gerecht zu werden, muss der KI-Nutzende eine Bewertungskompetenz aufbauen, mit der Halluzination von Fakt unterschieden werden kann. Wird dies nicht bereits in frühen Jahren erlernt, ist die Chance, falschen Informationen aufzusitzen, sehr hoch. Aus der Lernpsychologie wissen wir auch, dass das Überlernen, also das Löschen eines inkorrekten Lerninhalts und das Überschreiben mit einem neuen Inhalt, weit schwieriger ist, als sofort die richtige Information abzuspeichern und zu behalten.

Berufliche Auswirkungen

Unternehmen setzen zunehmend KI-Instrumente ein, um effizienter zu arbeiten, Daten zu analysieren und Entscheidungen zu treffen. Ohne Zugang zu KI-Technologien könnten Arbeitnehmer*innen Schwierigkeiten haben, mit dem Tempo und den Anforderungen der modernen Arbeitswelt Schritt zu halten. Dies könnte zu einer beruflichen Benachteiligung führen, wenn andere Bewerbende, die über KI-Kenntnisse verfügen, bevorzugt werden.

Aber schon bei der Bewerbung werden immer häufiger KI-generierte Anschreiben, optimierte Lebensläufe und Bewerbungsfotos genutzt und solange die Personalauswahl in Deutschland immer noch auf dem aktuellen, nicht dem Stand der Technik entsprechenden Niveau agiert, wird das zum Nachteil für Bewerbende.

KI-gestützte Suchmaschinen und Empfehlungssysteme spielen eine immer größere Rolle bei der Organisation und Bereitstellung von Informationen im Internet. Ohne Zugang zu diesen Technologien könnten Personen Schwierigkeiten haben, relevante Informationen zu finden oder auf dem neuesten Stand zu bleiben, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen könnte, informierte Entscheidungen zu treffen.

Der Appell

In Anbetracht dieser Entwicklungen ist die Politik gefragt. Um die digitale Kluft nicht schon in der Schule zu vertiefen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Grundversorgung mit KI-gestützten Bildungsdiensten sicherzustellen. Es ist unerlässlich, dass Bildungsgerechtigkeit gewährleistet wird, und dass niemand aufgrund sozialer oder finanzieller Unterschiede keinen Zugang zu den Vorteilen der digitalen Bildung hat. Dies ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein volkswirtschaftliches Thema. Denn wenn ein Großteil der Mitarbeitenden ihre Effizienz durch KI erhöhen, wird die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gesamthaft höher. Deshalb ist die digitale KI-Kluft ein Thema, das uns alle angeht.

Lösungsmöglichkeiten

Vor der Erfindung der Druckerpresse durch Gutenberg war Wissen stark standesgebunden. Auch mit gedruckten Büchern waren die Möglichkeiten, ein teures Buch zu erwerben, nicht gleich auf alle Bevölkerungsgruppen verteilt. Nach der Gutenberg-Bibel sollte es zweihundert Jahre dauern, bis das erste Schulbuch gedruckt wurde. Erst die Einführung der Lehrmittelfreiheit nochmals rund zweihundert Jahre später hat dazu geführt, dass Schüler*innen unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern Bücher nutzen können. Diese Lehrmittelfreiheit sollte heute auch auf digitale Lehrmittel ausgeweitet werden und damit auch auf die Nutzung von KI- Werkzeugen Anwendung finden.

Nachdem sich einige Bundesländer in Deutschland aus der Lehrmittelfreiheit zurückgezogen haben und die finanziellen Aufwände wieder an den Eltern hängen bleiben, wäre auch die Möglichkeit gegeben, die Hersteller von KI-Software als Sponsoren für die Bereitstellung Ihrer Tools zu gewinnen.

Als eine weitere Lösungsmöglichkeit lässt sich auch wieder eine Anleihe aus dem aktuellen Umgang mit Lehrmitteln ziehen. So gibt es eine Reihe von wohltätigen Institutionen, die Lehrmittel für Schüler*innen zur Verfügung stellen, die sonst keinen Zugang dazu hätten. Hier könnte über eine Erweiterung des Angebots von analogen auf digitale Lehrmittel nachgedacht werden.

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