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Versorgungssicherheit gut, alles gut?

Veröffentlicht am
Autor
Stefan Kapferer
Schlagwörter
Energie
Technologie

Die energiewirtschaftliche Lage ist besser als befürchtet, aber beim Ausbau der Erneuerbaren und Stromnetze bleibt noch viel zu tun, analysiert Stefan Kapferer.

Die aktuelle energiewirtschaftliche Lage

Der Winter ist fast vorbei und ein wärmeres Frühjahr steht vor der Tür. Die Gasspeicherstände sind stabil. Insgesamt bewertet die Bundesnetzagentur die Lage in ihrem Lagebericht Gasversorgung als weniger angespannt als zu Beginn des Winters. Es lässt sich festhalten: Deutschland und die EU sind – ob aller Widrigkeiten – gut durch diesen Winter gekommen und es gibt hinsichtlich der Versorgungssicherheit leichte Entwarnung.

Dennoch bleibt die gesamte geopolitische Lage in Bezug auf die Energiewirtschaft weiterhin eine Herausforderung: Wir werden auch im nächsten Winter kein russisches Gas importieren und die Abhängigkeit von z.B. China im Bereich von Rohstoffen wie Seltenen Erden für Erneuerbare Energien ist groß. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die sehr zügig gebauten und in Betrieb genommenen LNG Terminals zuverlässig arbeiten. Weitere sind in Planung. Mit weiteren LNG Terminals soll kommenden Winter eine Importkapazität von in Summe 30 Milliarden Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen. Die Energiekrise scheint also trotz allem beherrschbar.

Warnungen vor einer angespannten Situation

Noch zu Beginn und im Sommer des letzten Jahres sah die Situation ganz anders aus: Warnungen vor einer Gasmangellage und einer Stromkrise wurden laut. Aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland wurden die Bürgerinnen und Bürger zum Einsparen von Gas und Strom angehalten. Das schürt natürlich Sorgen in der Bevölkerung.

Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber sollten in einer zweiten Sonderanalyse Winter 2022/2023 – beauftragt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – in unterschiedlichen Szenarien mit jeweils zunehmend kritischeren Prämissen die Stromversorgungssituation im Winter 2022/23 aus zwei Perspektiven untersuchen und bewerten. Zum einen sollte die Frage beantwortet werden, ob die Stromnachfrage gedeckt werden kann und zum anderen sollte die Netzsicherheit bewertet werden.

Im Vergleich zur ersten Sonderanalyse, die bereits zwischen März und Mai von den Übertragungsnetzbetreibern durchgeführt worden war und in der Berechnungen mit dem Fokus auf Gaseinsparungen im Vordergrund standen, lagen der zweiten Sonderanalyse deutlich schärfere Annahmen zu Grunde: In den Blick genommen werden sollten insbesondere nicht zur Verfügung stehende Kraftwerkskapazitäten in Deutschland und Europa sowie verschieden ausgeprägte Stresssituationen für die Stromnachfrage und Netzsicherheit.

Im mittleren Szenario wurde auch eine Sensitivitätsanalyse der Auswirkungen des Streckbetriebs (Betrieb bis zum Verzehr der beladenen Brennelemente im ersten Quartal 2023) der Kernkraftwerke Emsland, Isar und Neckarwestheim durchgeführt. Zudem haben die Übertragungsnetzbetreiber in dieser Sonderanalyse grundsätzliche Handlungsempfehlungen für die Politik mit Blick auf den Winter erarbeitet.

Im Ergebnis lassen sich die Sonderanalysen wie folgt zusammenfassen: in allen drei Szenarien wurde die Versorgungssituation im kommenden Winter als angespannt bewertet.

Es bestand die Gefahr, dass die benötigte Last nicht vollständig am europäischen Strommarkt gedeckt werden kann. In den zwei durchaus kritischeren Szenarien traten in einigen Stunden Lastunterdeckungen auch in Deutschland auf. Auch sah es danach aus, dass die Netzsicherheit in den kalten Monaten durch die Entstehung von Netzengpässen auf die Probe gestellt wird.

Rückblickend lässt sich feststellen, dass sich die drohende Versorgungskrise vor allem als Preis- und Klimakrise entpuppt hat.

Aufgrund der unterschiedlichen Herausforderungen sollte deshalb „Viel auch viel helfen“ und es wurden verschiedene Maßnahmen zur Sicherung einer stabilen Energieversorgung getroffen. Zu diesen gehörten unter anderem die Erhöhung der Transportkapazitäten, die Sicherung von Brennstoffen in ausreichendem Maße und die Nutzung aller Erzeugungskapazitäten, die zur Verfügung stehen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) setzte die im Stresstest empfohlenen Maßnahmen weitestgehend um. So wurden Kraftwerksreserven genutzt und Kohlekraftwerke kehrten in den Markt zurück. Maßnahmen zur Höherauslastung (z.B. Wegfall der bisher notwendigen Genehmigung) und zur Verbesserung der Transportkapazitäten der Stromnetze wurden mit der dritten Novelle des Energiesicherungsgesetzes und Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes umgesetzt. Und auch die drei deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 wurden inhaltlich und zeitlich begrenzt noch bis Mitte April 2023 in die AKW-Einsatzreserve überführt.

Die Versorgungskrise als tatsächliche Preis- und Klimakrise

Versorgungssicherheit gut, alles gut? Rückblickend lässt sich feststellen, dass sich die drohende Versorgungskrise vor allem als Preis- und Klimakrise entpuppt hat.

Damit ist konkret Folgendes gemeint: Betrug der Strompreis 2021 für Haushalte noch 32,16 Cent pro kWh, stieg er im 1. Halbjahr 2022 bereits auf 37,07 Cent pro kWh an. Im zweiten Halbjahr ist dann ein erneuter Anstieg auf 40,07 Cent pro kWh zu verzeichnen. Und nicht nur für Haushaltskunden, sondern auch für Industriekunden ist der Strompreis so stark angestiegen, dass Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr ist.

Ein Faktor für den Preisanstieg ist der Gaspreis, denn der Strompreis, nach dem an der Börse gehandelt wird, richtet sich nach der teuersten Energiequelle, die zur Verstromung genutzt wird– das sogenannte Merit Order Prinzip. Merit Order bezeichnet den Modus der Strompreisbildung, bei dem immer das letzte (und damit teuerste) Kraftwerk, das noch gebraucht wird, um den Bedarf zu decken, den Börsenpreis bestimmt. Das Merit Order Prinzip ist seit der Liberalisierung der Energiemärkte Grundlage für die Preisbildung in der EU. Aufgrund der Gasknappheit und der gestiegenen Preise für Gas, setzt sich der Trend auch so auch beim Strompreis fort, obwohl wenig Gas, aber dafür fast kontinuierlich, zur Stromerzeugung eingesetzt wurde.

Neben dieser Preiskrise verschärfen diese Entwicklungen aber auch die Klimakrise: Der Gasmangellage wurde unter anderem durch einen verstärkten Einsatz von Öl und Kohle zur Stromerzeugung begegnet. Dies führt dazu, dass neben dem Preisanstieg für Strom auch die CO2-Emissionen auf dem Vorjahresniveau von 2021 stagnieren und entgegen der Ziele nicht gesenkt werden konnten. 2022 wurden trotz Senkung des Primärenergieverbrauchs um 4,7 Prozent, 761 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Deutschland verfehlt damit seine Ziele.

Energiewende als Lösung

Was braucht es also, um dieser Krise zu begegnen? Interne Berechnungen zeichnen in Hinblick auf die Preiskrise folgendes Bild: Zwischen dem 24.02.22 und 03.01.2023 betrug der durchschnittliche Preis für eine MWh 249,31 EUR. Der Day-Ahead Preis fällt bei einer Einspeisung von 90-100 Prozent auf der Basis von Erneuerbaren auf durchschnittlich 18,36 EUR / MWh und fällt sogar weiter, wenn dauerhaft 100 Prozent bzw. über 100 Prozent Erneuerbare Energien im Netz sind. Dies liegt daran, dass bei sehr hoher Verfügbarkeit von Erneuerbaren im Netz der Preis an den Grenzkosten der Erneuerbaren orientiert. Da die Grenzkosten – also die Kosten, die eine Anlage für die Produktion einer elektrischen Megawattstunde benötigt – bei Erneuerbaren gering sind, sinkt auch der Strompreis.

Möglichst schnell, möglichst viele Erneuerbare Energien im Netz sind also die Lösung, um hohe Strompreise zu verhindern. Und auch der Bedarf an der Verstromung von fossilen Energien würde sinken und damit deutlich zu einer CO2-Reduktion beitragen. Die Energiewende mit dem Ausbau von Erneuerbaren und den notwendigen Netzen bietet also eine Antwort für beide Herausforderungen und beugt einer erneuten angespannten energiepolitischen Lage zukünftig vor. Das bedeutet aber auch, dass die Energiewende deutlich schneller vorangehen muss als bisher. Auch hier bleiben wir aktuell hinter unseren eigenen Zielen zurück. Bei 50Hertz haben wir uns das Ziel gesetzt bis zum Jahr 2032 100 Prozent unseres Stroms aus Erneuerbaren Energien in unserer Regelzone zu gewinnen.

 

Wie sieht der aktuelle Stand aus? Der Erneuerbaren Energien-Anteil am Gesamtverbrauch in der 50Hertz-Regelzone lag 2022 gemäß der aktuellen Prognose bei ca. 65 Prozent (2021 ca. 56 Prozent). Die deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr ist auf einen Anstieg der Erneuerbaren Energien-Erzeugung (speziell Wind im ersten Quartal) von ca. 58 TWh 2021 auf ca. 63 TWh 2022 sowie einen leicht niedrigeren Stromverbrauch u.a. als Folge höherer Strompreise zurückzuführen. Diese beiden Effekte sind auch in Gesamtdeutschland zu erkennen. 2022 wurde in der 50Hertz-Regelzone ca. 1.799 MW Photovoltaik (2021: 1.670 MW) und ca. 637 MW Wind Onshore (2021: 550 MW) zugebaut – eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr, aber eben nicht die Größenordnungen zur Erreichung des 100 Prozent-Zieles von 50Hertz. Und erst recht nicht annähernd das, was sich die Bundesregierung vorgenommen hat.

Wir bleiben damit weit hinter unseren Zielen zurück. Mit jedem Jahr, das wir zu langsam vorankommen, wird die Lücke zum eigentlichen Ziel immer größer und die Anstrengungen müssen zunehmen.

Notwendige Entscheidungen sind noch zu treffen

Neben einem schnelleren Ausbau, worüber sich die Akteure einig sind, sind noch weitere notwendige Entscheidungen jetzt zu treffen. Zum einen braucht es für ein klimaneutrales Stromsystem mit viel Erneuerbaren eine regelbare Kraftwerksleistung von etwa 60 GW in 2030 zur Sicherung der Versorgungsleistung. Davon stehen heute knapp über 30 GW zur Verfügung.

Solange Politik – ob gut begründbar oder nicht – regelmäßig in Märkte eingreift, fehlt Investoren das Vertrauen.

Die für den Bau dieser Back-up-Kapazitäten notwendigen Weichen müssen jetzt gestellt werden. Dazu gehören unter anderem Perspektiven für die Finanzierung und Refinanzierung solcher Kapazitäten. Diese Frage hat einen engen Zusammenhang zur Frage des neuen Strommarktdesigns. Gut, dass das BMWK diesen Prozess jetzt startet. Um den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 – so das Ziel im Koalitionsvertrag – vorziehen zu können, müssen die Investitionen rasch getätigt werden. Die über viele Jahre im BMWK gepflegte Erzählung, der Energy Only Markt, der nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage nur tatsächlich erzeugte Energie vergütet, würde diese Investitionen durch hohe Preise in ausgewählten Stunden knapper verfügbarer Kapazitäten anreizen, hat sich als Mär erwiesen. Denn er handelt ausschließlich Strommengen, Investitionssignale für neue Anlagen und die Versorgungssicherheit hingegen werden durch dieses Strommarktdesign nicht hinreichend gewährleistet.

Solange Politik – ob gut begründbar oder nicht – regelmäßig in Märkte eingreift, fehlt Investoren das Vertrauen. Deshalb ist eine Entscheidung zu den Kapazitätsmechanismen von höchster Priorität.

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