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Wasserstoff zwischen Chile und Nürnberg

Veröffentlicht am
Autor
Ernesto Buholzer Sepúlveda
Schlagwörter
Energie
Geopolitik
Business
Technologie

Wir brauchen neue und verlässliche Partnerländer für die Zukunft unserer Energieversorgung. Einer dieser Partner in der Wasserstoffversorgung sollte die Andenrepublik Chile sein, argumentiert Ernesto Buholzer Sepúlveda.

Deutschland steht nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der Abkehr von russischem Gas vor großen energiepolitischen Herausforderungen. Um nachhaltig Versorgungssicherheit für (grünen) Wasserstoff aufzubauen, braucht es nicht nur Partner mit ausreichend Kapazitäten erneuerbarer Energieproduktion und technische und personelle Ressourcenausstattung. Es braucht vor allem ein tiefes Vertrauen in die Institutionen und Geschäftspartner*innen, in das politische System sowie in seine Akteure vor Ort.

Es braucht Kooperationen auf Augenhöhe, die vorteilhaft für alle Parteien sind und die auf der Bereitschaft beruhen, sich gegenseitig weiterzuentwickeln. Nicht nur auf Institutionsebene, sondern auch mit langfristigen Vorteilen für die Zivilgesellschafft und die Akteure in der Wirtschaft. All das ist mit Autokratien schwierig machbar.

Hinzu kommt, dass die Frage der Nachhaltigkeit ja nicht beim ökologischen Faktor aufhört, sondern ebenso soziale Faktoren beinhaltet. Auch diese sind in Autokratien kaum gegeben.

Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass unter anderem Katar eine Schlüsselrolle in der deutschen Wasserstoffversorgung einnehmen soll.

Es lohnt sich, stattdessen nach Partner*innen zu suchen, die ein ähnliches Verständnis für humanistische Grundwerte haben und demokratisch gesteuert sind. Eine Partner*in ist Chile.

Wir brauchen neue Partner

Chile ist ein klassisch zentralistisch geprägtes südamerikanisches Land. Auf einer Fläche, die mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland, leben auf über 6.400 km Küstenlinie nur knapp 20 Millionen Einwohner – davon 90 Prozent rund um die Hauptstadt Santiago. Heute ist der Andenstaat eine Präsidialdemokratie, mit einer jungen linken Regierung, die Ambitionen hat, sich auch in neuen Wertschöpfungsstufen zu entwickeln und die Produktion von grünem Wasserstoff im großen Stil auszubauen. Dafür hat das Land beste Voraussetzungen, da es über enorme Ressourcen für die Erzeugung erneuerbarer Energien verfügt.

Die Sonne strahlt nirgendwo stärker als in Chiles Atacamawüste im Norden und auch auf der Welt gibt es kaum eine Region, in der der Wind so stark und kontinuierlich weht wie im Süden Chiles, in Patagonien. Mit diesen Voraussetzungen könnte das Land gut das 70-fache seines momentanen Eigenbedarfs decken und bis 2050 auch das 3–4-fache des geschätzten Importbedarfs Deutschlands an grünem Wasserstoff erzeugen.

Chile bietet ideale Voraussetzungen, um als langfristiger Partner nachhaltig für Deutschland zu produzieren.

Neben den natürlichen Ressourcen, den gemeinsamen demokratischen Grundwerten sowie der Rechtssicherheit, die Chile mit Deutschland teilt, biete das Andenland auch ein gutes Investitionsklima sowie eine starke institutionelle Infrastruktur.

Chile als starker Partner

Chile bietet also ideale Voraussetzungen, um als langfristiger Partner grünen Wasserstoff entlang einer komplett CO2-neutralen Wertschöpfungskette nachhaltig für Deutschland zu produzieren. Für die Diversifikation des deutschen Rohstoffportfolios könnte das Land daher eine entscheidende Rolle spielen. Bis 2040 möchte die Andenrepublik größter Produzent des nachhaltigen Energieträgers und seiner Derivate werden und dabei weltweit zum günstigsten Preis anbieten können. Schon heute gibt es über 60 Wasserstoffprojekte im Land, langjährige gute Geschäftsbeziehungen mit etlichen deutschen Firmen sowie bilaterale Abkommen, die eine wichtige Basis für eine Partnerschaft auf Augenhöhe bilden. Das Land verfügt dazu über gut ausgebildete Personalressourcen sowie ein starkes Netzwerk an internationalen Firmen, die in verschiedenen Exportindustrien angesiedelt sind.

 

Übersicht der diversen Power to X Projekte in Chile

Chiles Vorteile sind neben dem niedrigen Preis und der enormen Menge an Produktionskapazitäten, auch das Versprechen einer vollkommen CO2 neutralen Lieferkette. Dies wird auch für viele deutsche Firmen eine wichtige Rolle spielen, wenn es mit steigenden Anforderungen von Verbraucher*innen, Lieferkettengesetz und nachhaltigem Selbstverständnis darum gehen wird, den CO2-Fußabdruck von Produkten in deren kompletten Lebenszyklus zu reduzieren.

Kooperation auf Augenhöhe

Deutschland könnte langfristig seine Energiebedarfe nicht nur für die Strom-, sondern auch für die Wärmeerzeugung, die Industrie und den Verkehrssektor decken sowie auf einem Markt mit starker Konkurrenz Versorgungssicherheit sowie eine nachhaltige Lieferkette aufbauen. Chile hingegen könnte nicht nur große Gewinne durch Exporte von H2 und seinen Derivaten verbuchen, sondern ebenfalls den Industrie- und Dienstleistungssektor im Wasserstoffcluster ausbauen. Diese Weiterentwicklung der Wertschöpfungsstufen wäre für Chile essenziell, um seine Wirtschaft zu diversifizieren und höhere Wohlfahrtslevel zu erreichen. Für Chile könnte sich der Wasserstoffsektor dabei zum neuen Wirtschaftszweig in der Größenordnung wie die heutige Minenindustrie entwickeln und enorme Potenziale für die Wohlstandsentwicklung im Land haben.

Für Deutschland könnte eine starke Kooperation auch förderlich dabei sein, Zugriff auf andere, für die Energiewende kritische, Ressourcen wie Kupfer und Lithium zu bekommen. Insgesamt würde dabei auch der politische Einfluss Deutschlands in Südamerika wieder erstarken, was für die langfristige Sicherung von Lieferketten wichtig ist und der kritischen Abhängigkeit Chiles von China entgegenwirkt.

Kommunen in der Scharnierfunktion

In diesem hoch kompetitiven Markt mit starken Wechselbeziehungen zwischen Produktion, Technologietransfer und Logistikinfrastruktur brauchen jedoch nicht nur die Produzenten gute Alleinstellungsmerkmale wie bspw. einen attraktiven Preis. Neben China sind auch andere europäische Länder sowie die USA sehr interessiert an der Abnahme des chilenischen Wasserstoffs.

Daher muss sich auch Deutschland überlegen, wie es sich für langfristige Kooperationen gut positioniert, gerade wenn es andere Player auf dem Markt gibt, die leicht höhere Kaufpreise aufrufen können. Ein Alleinstellungsmerkmal könnte hierbei die langfristige Zusammenarbeit in Form von Technologietransfer und der Aufbau von Joint Ventures zur gemeinsamen Produktion von grünem Wasserstoff im jeweils anderen Land sein. Dabei müssen neben den Fragen des Transports auf dem Seeweg und der Logistikinfrastruktur in Europa, auch klassische Hürden der Industrialisierung dieses Sektors, wie die Investitionskosten für Elektrolyseure, die Anfangsinvestitionen in die Wertschöpfungskette und die Verfügbarkeit von Humankapital zum Betrieb und Bau von Anlagen in beiden Ländern, gelöst werden.

Der Wille, die Ressourcen und ein grober Fahrplan sind vorhanden.

Doch wie könnte eine solche Kooperation aussehen und auf welcher Ebene müsste sie entstehen? Es wird viel davon abhängen, wie sich die Akteure lokal vernetzen, wie sie in der jeweiligen Region Fuß fassen können und welche Gegebenheiten sie für einen Aufbau von Kraftwerken und zur Energieerzeugung vorfinden. Daher ist es wichtig ein Kooperationskonstrukt aufzubauen, in dem auch die lokalen Akteure wie die (indigene) Bevölkerung vor Ort, die ansässigen Firmen in den Städten und Gemeinden sowie die kommunalen Entscheidungsträger*innen miteinbezogen werden. Dafür müssen zur Entwicklung einer stringenten Strategie von Bund, Land und Kommune alle drei politischen Ebenen mitgedacht und verzahnt werden. Die deutsch-chilenische Energiepartnerschaft sowie die 2021 gegründete Taskforce Wasserstoff sind erste gute Schritte in die richtige Richtung, die beiden Länder auf nationaler Ebene zu verknüpfen. Nun braucht es Initiativen, die auch die Ebenen darunter miteinander, unter einer gemeinsamen Vision und strategisch klug miteinander verweben.

Die Metropolregion Nürnberg könnte für eine solche Strategie einen Piloten darstellen. Sie hat mit dem Energiecampus ein bedeutendes Wasserstoffcluster, das durch verschiedene politische Initiativen wie das bayerische H2B auf Landesebene unterstützt wird. Es sind sowohl globale Player wie Siemens, Bosch, MAN oder Schaeffler angesiedelt – die auch in Chile bereits aktiv sind – als auch Mittelständler und Hidden Champions wie BROCHIER oder AENEA. Die Metropolregion beherbergt insgesamt über 45 Technologie- und Dienstleistungsunternehmen mit Wasserstoffkompetenz sowie 13 Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Themenkomplex beschäftigen, wie beispielsweise verschiedene Fraunhofer Institute oder das Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg.

Auswahl von Unternehmen (links) und Forschungseinrichtungen/Universitäten (rechts) mit Wasserstoffkompetenzen; Kartengrundlage: Metropolregion Nürnberg

Bereits Anfang vergangenen Jahres gab es erste Austauschtreffen zwischen der Botschaft und politischen Vertretern der Stadt sowie dem Wirtschaftsreferat Nürnberg. Es folgte ein Besuch der damals neuen Botschafterin Magdalena Atria, als einer ihrer ersten Städtereisen in Deutschland, zusammen mit einer Vertreterin der Regierungsagentur ProChile zur Nürnberger Wasserstoffmesse, dem Hydrogen Dialogue. Auch mit einer Universitätsdelegation aus Santiago kam es kurze Zeit später zu einem Delegationstreffen am Nürnberger Energiecampus, um sich über die Idee der Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene auszutauschen. Im weiteren Verlauf wurden von der Stadtpolitik Verbindungen zu MdBs und MdLs geknüpft, um das Thema auf Landes- wie Bundesebene voranzutreiben. Ende 2022 folgten Gespräche vor Ort in Chile mit der Regierungsagentur InvestChile. Im März 2023 treten anschließend sowohl Vertreter der Stadt Nürnberg als auch Bayerns eine Delegationsreise durch das Andenland an, um die Kontakte zu intensivieren und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten.

Ein Aktionsplan zur Strategie-Erarbeitung und Umsetzung könnte wie folgt aussehen. Dabei sind die ersten drei Schritte bereits im Gange:

  • Abgleich der Nationalen Wasserstoffstrategien mit der Strategie der Kommune
  • Aufnahme und Analyse von Bedarfen und Anforderungen der Key-Stakeholder aus der lokalen Wirtschaft
  • Identifikation von Schnittmengen sowie Erarbeitung gemeinsamer Vision und Zielbilder
  • Klärung von fachlichen Fragen, insbesondere zu Infrastrukturaufbau und Logistik, Kapazitätshochlauf, Mengenbedarfsanalyse
  • Schneiden und Priorisierung von Arbeitspaketen sowie Erarbeitung einer Roadmap zur Operationalisierung der Vorhaben
  • Verfassen eines gemeinsamen Strategie- und Umsetzungskonzepts
  • Operationalisierung des Konzepts

Bei der Operationalisierung sollte darauf geachtet werden, dass auch zeitlich drei Dimensionen bzw. Sichtweisen das Vorhaben steuern. Es sollte beispielsweise im Projektverlauf möglichst darauf geachtet werden, dass kurzfristige Maßnahmen am Anfang der Roadmap zu Quick Wins führen, die sowohl für die Vermarktung der Kooperation nach außen als auch für die Motivation der Stakeholder nach innen wichtig sind. Mittelfristig und langfristig sollten dann verschiedenen Themenstränge angegangen werden, die zeitlich aufeinander aufbauen.

Erste Erfolge könnten sich in den Operationalisierungsphasen beispielsweise durch den Austausch von Studierenden und PhD-Projekten realisieren lassen. Dabei könnten mit konkreten Lösungsansätzen für heutige Problemstellungen Pilotprojekte realisiert werden. Mittelfristig muss neben der Klärung von Infrastruktur und Transportlogistik auch bedacht werden, welche weiteren Stakeholder international mit ins Boot geholt werden müssen, um Fragen zu klären wie die Problematik, Werftkapazitäten im entsprechenden Umfang zu mobilisieren, um den grünen Wasserstoff an europäische Häfen zu liefern. Langfristig müssen die Abnahmemengen geklärt werden, die Deutschland in den jeweiligen Gebieten gebraucht und welche Industrien ihre Wasserstoff-Bedarfe über die Zeit erhöhen werden.

Nur durch einen solchen Fahrplan können sich alle Stakeholder ein klares Bild über die nächsten Schritte machen und hätten größere Planungs- und Investitionssicherheit für ihre Vorhaben.

Der Fahrplan ist vorhanden

Durch eine enge Kooperation zur Beschaffung und Industrialisierung von Schlüsseltechnologien und den Derivaten des neuen Energieträgers könnten beide Länder sowie die jeweils beteiligten lokalen Regionen und Unternehmen, in der Energiewende und Versorgungssicherheit enorme Vorteile erfahren. Ebenso wird es mittelfristig möglich sein, Lehren aus dem Kooperationsvorgehen über verschiedene Ebenen auf andere Industrien zu übertragen, um neben der Versorgungssicherheit für Energieträger auch Rohstoffe wie Kupfer und Lithium zu sichern und zu bewirken, dass Lieferkettengesetze eingehalten und Umwelt- sowie Sozialstandards besser umgesetzt werden können.

Es lohnt sich mit Pilotprojekten anzufangen und die strategische Kooperation auf kommunaler Ebene zu forcieren, da hier die Stakeholder sitzen, welche später die Arbeit im Feld erledigen werden. Diese Kooperationsoption bietet großes Potenzial und lässt hoffen, dass Deutschland die Energiewende auch sozial nachhaltig gestalten kann und dass in beiden Ländern ein neuer, starker Industriezweig mit enormem Potenzial entsteht. Der Wille, die Ressourcen und ein grober Fahrplan sind vorhanden. Jetzt müssen wir nur noch ins Handeln kommen.

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