Wenn die Schlafwandler erwachen: Plädoyer für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur
Stéphane Beemelmans analysiert, wie der Krieg in der Ukraine und US-Desengagement die Sicherheitsarchitektur unseres Kontinents bedrohen.
Die Ausgangslage und der Konflikt
Seit drei Jahren tobt an Europas Grenzen ein Krieg zwischen zwei geographisch verbundenen Staaten – ein Konflikt, der seinen Ursprung in Russlands Besetzung der Krim und des Donbass vor fast 11 Jahren fand. Spätestens seitdem müsste jedem politischen und militärischen Entscheider in unserem Teil Europas klar geworden sein, dass es auf unserem Kontinent eine (Groß-) Macht gibt, die jederzeit bereit ist, den „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz) in die Praxis umzusetzen. Die fast 50 Jahre wirksam gewesene und damit den Krieg verhindernde Abschreckung zwischen den ehemaligen Blöcken ist offenkundig einem „laissez-faire“ seitens der europäischen Staaten gewichen, der es Russland ermöglicht hat, in voller Impunität die Ukraine mit einem kruden Mix aus historisch-politischen Begründungen völkerrechtswidrig anzugreifen und in Teilen zu besetzen. Was nicht sein durfte, konnte nicht gesehen und dementsprechend auch nicht der Bedeutung entsprechend angegangen werden. Unser und der NATO „laissez-faire“ gründete auf dem formalistischen Argument, dass ja kein NATO-Mitgliedsland angegriffen worden sei und auf dem als „Hoffnung“ getarnten Mangel an strategischer Weitsicht, dessen völkerrechtlicher Ausdruck das „Friedensabkommen von Minsk“ von 2015 war. Die Hoffnung nämlich, dass dieser Angriff sich lokalisieren und damit geographisch einschränken bzw. „einfrieren“ lasse.
Der Vergleich mit dem Münchener Abkommen ist hierbei hinreichend oft bemüht, die Konsequenzen hingegen nie gezogen worden. Heute wie damals macht der Aggressor keinerlei Anstalten, sich in seiner „Kriegslust“ den Erwartungen des „Westens“ entsprechend zu beschränken, heute wie damals macht der „Westen“ viel zu wenig, um ein wirkmächtiges, weil plausibles Gegengewicht aufzubauen. Seit dem Amtsantritt der neuen Trump-Administration und spätestens seit der Reise von US-Vizepräsident J. D. Vance nach Europa in diesem Februar müssen wir befürchten, dass der Vergleich zwischen heute und der Zeit unmittelbar nach dem Münchener Abkommen von 1938 noch in einem weiteren Punkt zutrifft: damals spielten die USA keine Rolle auf dem europäischen Kontinent, heute kündigen sie Europa und der NATO unumwunden an, sie mit kontinentalen Konflikten alleine lassen zu wollen.

Europa muss sich also wieder in den Zustand versetzen, seine Verteidigung aus eigener Kraft mit eigenen Mitteln und ohne amerikanischen Schirm sicherzustellen, und dies so überzeugend zu tun, dass jeder denkbare Aggressor vor den für ihn einschätzbaren Folgen eines Angriffes zurückschrecken müsste.
Für eine EU und ein NATO-Bündnis, das auf die unverbrüchliche Zusage der US-amerikanischen Unterstützung gesetzt hat und dabei mehr Kraft auf die Suche nach Begründungen für das eigene Unterlassen als für wirkmächtige Beiträge für die gemeinsame Sicherheit verwendet hat, ist es höchste Zeit. Frankreich, Schweden, Finnland, Polen und die baltischen Staaten haben dies erkannt und arbeiten auf allen Ebenen an einem Hochfahren der eigenen Fähigkeiten. Es ist aber zu befürchten – insbesondere, wenn sich in der größten Volkswirtschaft unseres Kontinentes nicht dramatisch etwas ändert –, dass diese Bemühungen Stückwerk bleiben werden.
Was ist zu tun?
Europas Perpektiven im US-amerikanischen Desengagement-Szenario
Im Worst-case-Szenario einer fortschreitenden Gefährdung unseres Kontinentes, oder zumindest von Teilen von diesem, und eines US-amerikanischen Desengagements fällt eine sehr große, homogen und in praktisch allen Bereichen auf dem neuesten Stand der Technik aufgestellte, einsatzerfahrene und einsatzbereite Armee für die Verteidigung Europas aus. Ohne die US-Armee, aber mit den Streitkräften des Vereinigten Königreiches stehen dafür 28 Armeen bereit, die zwar durchweg gemeinsame Prozesse haben, sich jedoch durch disparate Organisationen und Ausstattungen auszeichnen und zudem keinesfalls die Fähigkeitsbreite und -tiefe der US-Army ersetzen können. Ohne die USA fehlt Europa auf militärischem Gebiet zu viel von zu vielem, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass die USA mehr als doppelt so viel für das Militär ausgeben wie die EU und UK zusammen. Das betrifft insbesondere alle Fähigkeiten zur strategischen Aufklärung, Kommunikation und zum strategischen Lufttransport, die innerhalb der EU maximal bruchstückhaft vorhanden sind.
Europa muss sich deshalb in zweierlei Hinsicht schnellstens auf einen gemeinsamen Weg begeben: Im US-Desengagement-Szenario ist zunächst die Drohung mit einem Nuklearschlag seitens eines mit Atomwaffen ausgestatteten Aggressors konventionell kaum parierbar. An einem offenen und vorurteilsfreien Dialog mit Frankreich und UK (unter Einbeziehung Polens) über eine nukleare Abschirmung Europas wird kein Weg vorbeiführen.
Im konventionellen Bereich muss Europa dagegen:
- die Organisation(en), vorhandenen Fähigkeiten und Lücken systematisch analysieren,
- sich auf den dringend erforderlichen Ausbau dieser Fähigkeiten ausrichten,
- hierfür den Bedarf definieren,
- diesen in Paketen einzelnen Staaten zuordnen und
- mit einer einheitlichen Beschaffung die Ausrüstung bereitstellen.
Wenn einzelne Mitgliedstaaten sich diesem Prozess entziehen wollen, sei es so. Auf sie darf keine Rücksicht genommen werden, die Zeit ist zu kostbar geworden.
Das muss nicht zwingend zu einer europäischen Armee führen, wobei sich nicht erschließt, was im Verteidigungs- bzw. Bündnisfall dagegensprechen könnte, ganz im Gegenteil. Wer keiner europäischen Armee das Wort reden möchte, muss aber zugeben, dass wir mit dem jetzigen Zustand eines „Europas der Armeen“ letztlich nur ein qualifiziertes, dafür aber nationalstaatlich eingehegtes Unvermögen zur Schau stellen. Kein Land in Europa – mit Ausnahme der Nuklearmächte Frankreich und UK – kann behaupten, mit seinen Streitkräften sein Territorium alleine gegen einen starken und zu allem entschlossenen Gegner verteidigen zu können. Was ist das Festhalten an einer Souveränität im Einsatz der einzelnen Streitkräfte wert, wenn diese außerstande sind, diese Souveränität angemessen zu schützen? Ist die Souveränität für den Schutz der Streitkräfte da oder nicht doch eher umgekehrt? Wenn dies also zutrifft, muss die Verteidigung Europas endlich ganzheitlich nicht nur gedacht – die Beistandsverpflichtungen nach dem NATO-Vertrag und dem Vertrag über die europäische Union stellen hierfür den rechtlichen Verpflichtungsrahmen -, sondern auch umgesetzt werden. Das Ziel muss sein, die Kräfte zu bündeln, anstatt sie zu diffundieren oder auf eine einfache Formel gebracht: gemeinsam-effektiv statt einsam-ineffektiv. Die Ablehnung einer „europäischen Armee“ als Parallelorganisation zur unter einheitlicher (amerikanischer) Führung stehenden NATO ist nachvollziehbar, ohne US-Army (und im Zweifel türkischer Armee) ist eine einheitliche Führung unerlässlich, um die europäische Sicherheit zu gewährleisten.
Napoleon hat, als er 1812 die Grande Armée aufstellte, von den einzelnen verbündeten Fürsten konkrete Fähigkeiten abgefordert und diese dann zu Operationseinheiten zusammengefügt. Erste Ansätze gibt es in Europa schon (Deutsch-Französische Brigade, Deutsch-Polnisches Korps, Lufttransportkommando usw.), nicht immer sind die Einheiten aber nur dem einen Zweck untergeordnet, sondern bleiben in einer doppelten oder sogar mehrfachen Assignierung verhaftet. Wir müssen nicht mehr nur Inter-Operabilität herstellen, sondern vielmehr massiv in Inter-Komplementarität investieren. Die einzelnen Beiträge der europäischen Länder müssen nicht nur miteinander operieren können, sondern auch Lücken schließen und dies sowohl in der Breite (Fähigkeitsportfolio) wie auch in der Tiefe (Menge bzw. Durchhaltefähigkeit) durch hoch-spezialisierte Ressourcen.
Wer den Verlauf der Operationen im Ukrainekrieg analysiert, stellt fest, dass wir für ein solches Hin- und Her zwischen Stellungskämpfen nach Art des I. Weltkrieges, versuchten Durchbrüchen und hochintensivem Cyber- und Drohnenkrieg nicht vorbereitet sind.
Wo von den Personalstärken her kein Ersatz oder keine regelmäßige Ablösung möglich ist – worunter die ukrainische Armee derzeit besonders leidet -, muss in die körperliche und mentale Durchhaltefähigkeit der aktiven Soldaten und in dem Aufbau von Reserven durch intensive und noch regelmäßigere Übungen unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg investiert werden.
Wo zudem für einen Cyber- und Drohnenkrieg, der für die eingesetzten Soldaten eine immense Bedrohung im Feld darstellt, weder die richtigen Angriffs- noch Abwehrfähigkeiten zur Verfügung stehen, wird jeder Einsatz zu einem verantwortungslosen Unterfangen.
Und wenn schließlich die Munitionsversorgung trotz großer Anstrengungen der Rüstungsindustrie gerade noch für den Bedarf der Ukraine, nicht aber zusätzlich für eine relevante Bevorratung der europäischen Streitkräfte und hier insbesondere der Bundeswehr reicht, müssten die Glocken nicht nur Alarm läuten, sondern auch ein entsprechendes Handeln einläuten.
Die EU hat im Rat von Dezember 2010 das Konzept des „pooling und sharing“ beschlossen, durch welches die gemeinsame Beschaffung und der multinationale Betrieb von Großgeräten (Tanker, Transportflugzeuge, …) gefördert werden sollte. Dieses verstand sich mehr als Appell in Richtung zusammenarbeitswilliger Mitgliedstaaten und als Auftrag an die European Defence Agency, denn als gemeinsames, alle Mitgliedstaaten bindendes und forderndes Instrument. So entstanden Pilotprojekte, die langwierig implementiert wurden, deren Probleme zugleich andere von der Nachahmung abhielten.
Die NATO hat ihrerseits mit „smart defense“ ähnliches versucht, ist aber bei der „Zuteilung“ von zuvor regelmäßig definierten Fähigkeitslücken nicht nennenswert weitergekommen. In gewisser Hinsicht hat die Trump-Administration recht: Wenn die Anwesenheit eines „großen Bruders“ die „kleinen Brüder und Schwestern“ von Anstrengungen abhält, muss der „große Bruder“ – will er nicht für immer in dieser beschützenden Rolle verharren – sich zurückziehen, um einen Bewusstseinswandel über die eigene Verantwortung herbeizuführen oder zumindest zu provozieren. Insoweit werden wir jetzt gezwungen „erwachsen“ zu werden und unsere Sicherheit in die eigene Hände zu übernehmen. Dabei muss klar sein: Wenn wir insoweit der Trump-Administration „entgegenkommen“, müssen wir zugleich klarstellen, dass wir auch außenpolitisch unser Schicksal in die Hände nehmen und uns Einmischungen verbieten.
Deutschland und eine „coalition of the willing“
Europa befindet sich bereits jetzt in einem „hybriden Konfrontationszustand“ mit Russland, der in vielfacher Hinsicht unser Leben, unsere Infrastruktur und auch unsere Umwelt durch Einmischung in Wahlprozesse, Beschädigung von Kabeln, „unfreundlichen“ Überflügen und mehr bedroht.
Wer für alles und jedes Exportbeschränkungen und Zölle ankündigt, kann nicht als Hauptlieferant essentieller Rüstungsgüter angesehen werden.
Deutschland muss deshalb jetzt zwingend – gemeinsam in einer „coalition of the willing“ mit Frankreich und sicher auch UK, Polen, Italien und Spanien sowie den nordischen und baltischen Staaten – in und für Europa eine Führungsrolle für den nicht zu fernen Tag einer möglichen Konfrontation einnehmen. Das heißt, einerseits in den Dialog mit den USA treten, um die Auswirkungen eines Desengagement-Szenarios, wenn nicht zu verhindern, dann zumindest abzufedern. Das heißt weiter, das Gespräch über eine eigene nukleare Abschirmung unseres Kontinentes zu Abschreckungszwecken mit Frankreich und UK (unter Einbeziehung Polens) aufnehmen, ganz ohne Anspruchsdenken und moralischen Zeigefinger, dafür aber mit der Bereitschaft, Mitverantwortung zu übernehmen, sei es in finanzieller oder auch in militärischer Hinsicht (nukleare Teilhabe!). Das heißt schließlich, beim koordinierten Vorgehen für Ausrüstung und Beschaffung mit eigenen Beiträgen und gutem Beispiel voranzugehen und diese in aller Offenheit allen Partnern als Alternative zu transatlantischen und im Ernstfall schwer zu beliefernden Gütern anzubieten.

Wer für alles und jedes Exportbeschränkungen und Zölle ankündigt oder androht, kann nicht ohne großes Risiko als Hauptlieferant essentieller Rüstungsgüter angesehen werden. Insoweit führt kein Weg an einer Stärkung und Nutzung der europäischen industriellen Rüstungskapazitäten vorbei. Es gibt kaum etwas im Rüstungssektor, das nicht bereits jetzt in Europa produziert wird oder werden kann. Das Ziel muss sein, möglichst schnell auf europäischer Ebene standardisierte Waffensysteme einzuführen, deren Belieferung und Wartung – ohne Blackbox! – kontinental und gleichmäßig erfolgen kann und muss. Dabei muss endlich damit aufgehört werden, immer wieder der Versuchung zu erliegen, heute von der Industrie zu fordern und zu erwarten, was frühestens morgen entwickelt und übermorgen produziert werden kann. Das führt am Ende nur dazu, dass jedes Land sich irgendwie beliefert oder, schlimmer noch, versucht, ältere Modelle mit lebensverlängernden Maßnahmen in den Hallen und Depots zu halten, und neue Rüstungsgüter bereits grundsätzlich nur für das nächste (oder übernächste) Jahrzehnt „angekündigt“ werden. Genau dieser Umstand hat die erwähnte disparate Ausstattung der 28 Armeen Europas zur Folge, mit dramatischen Konsequenzen im Ernstfall. Es ist z. B. unmöglich eine Logistikkette für vier verschiedene, nebeneinander im Feld kämpfende Panzertypen aufzubauen und schon gar nicht aufrechtzuerhalten. Die Panzer werden nur so lange im Einsatz sein, wie sie keine Ersatzteile brauchen, und das bemisst sich im Zweifel nach Tagen. Eine multinationale Panzerdivision wird sehr schnell ihre Kampfkraft relevant schmelzen sehen und das potentiell sogar ohne Feindeinwirkung.
Europa und eine „coalition of the willing“
Die EU sollte diesen Prozess in vielerlei Sinne flankieren: einerseits nach Bedarfsfeststellung die Bündelung von Beschaffungsaufträgen initiieren und koordinieren. Dabei spielt keine Rolle, wie groß der Bedarf zu einem bestimmten Zeitpunkt ist, wenn feststeht, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein weiterer Bedarf von dem zu beschaffenden Gut bestehen wird. Was in der zivilen Luftfahrt – der Mix aus festen und optionalen Bestellungen – möglich ist, muss im Rüstungsbereich zwingend sein. Das erlaubt der Rüstungsindustrie, sich auf längere Sicht aufzustellen und Planbarkeit für den kontinentalen Bedarf zu bekommen, was automatisch zu der von den europäischen Staaten geforderten Erweiterung der Produktionskapazitäten führt.
Die EU sollte dabei das Vergabe- und Wettbewerbsrecht der Dringlichkeit und Dimension der Aufgabe entsprechend nutzen, um europäische Champions zu ermöglichen. Diese müssen nicht unbedingt in Fusionen von Rüstungsunternehmen münden, es reichen auch projektbezogene Joint Ventures. Am allerwichtigsten ist aber, dass die EU – und allen voran Deutschland – dafür wirbt, keine Zeit in Erwägungen über Produktionsstandorte und deren Verteilung zu verlieren. Die Dringlichkeit lässt keine Wiederholung des A400 M-Vorhabens mehr zu. Vielmehr muss jedem europäischen Staat klar sein, dass es jetzt um eine schnelle Ausstattung mit dem nötigen Gerät geht und nicht um die Schaffung von Industriearbeitsplätzen. Wo diese bereits vorhanden sind, müssen sie genutzt und ausgelastet werden. Dafür werden später an allen Stationierungsorten entsprechende Wartungskapazitäten erforderlich, die zur Schaffung von hinreichend vielen dezentralen Industriearbeitsplätzen führen werden. Wenn die Faustformel für das fliegende Gerät, dass nämlich der Kaufpreis jedes Gutes einmal bei der Anschaffung und zweimal in der Nutzung zu zahlen ist, auch bei anderen komplexen Rüstungsgütern gilt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis in jedem Land entsprechende Industriearbeitsplätze geschaffen wurden.
Die EU sollte sich für ihren Beitrag eine spezifische politische Governance (Ständiger Rat) der Mitglieder der „coalition“ mit echter „Prokura“ geben. Alle Mitglieder der „coalition“ müssen sich zur Mitwirkung verpflichten und die innerstaatliche Caveat in Eigenverantwortung vorab klären, wie es in UK mit den Vorabbefassungen des House of Commons geltende Rechtspraxis ist. Diese „politische Governance“ sollte zudem – auch aus wirtschaftlichen Gründen heraus – die gemeinsame Entscheidung für Exportentscheidungen treffen, und insoweit das deutsche restriktive – und damit für Rüstungskooperationen unattraktive – Rüstungsexportregime ablösen. Schließlich sollte die gemeinsame „politische Governance“ das Kommunikationsorgan der „coalition“ sein, um transparent zu machen, dass diese „mit einer Stimme“ und mit „vereinter Kraft“ sich jedweden Bedrohungen gegenüberstellt.
Wollen wir nicht wie Schlafwandler in den nächsten Weltkrieg schlittern, muss die Zeit der Nachtschwärmerei ein Ende haben.
Europa droht eine konventionelle Konfrontation in der Folge eines für Russland erfolgreichen Krieges mit der Ukraine spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts. Diese wird zunächst die Anrainerstaaten Russlands betreffen, was uns zum Beistand verpflichten würde, sofern diese NATO- oder EU-Mitglieder sind. Dabei kann durchaus Berücksichtigung finden, dass Russland wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht „ausgelaugt“ aus einem siegreichen Ukraine-Krieg herauskommen dürfte (Finanzen, Wirtschaft, unwiederbringliche menschliche Verluste). Das sollte und darf uns nicht davon abhalten, jetzt das Glockengeläut zu hören und alles Notwendige zu veranlassen. In Deutschland hat das – neben der Einnahme einer seit Jahren nicht mehr wahrgenommenen Führungsaufgabe in außen-, europa- und verteidigungspolitischer Hinsicht, der Stärkung des ebenso lange darbenden Deutsch-Französischen Verhältnisses und seiner Erweiterung im Weimarer Dreieck mit Polen – vielfache innenpolitische Konsequenzen: Es müssen einerseits die nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt und zugleich die hiermit verbundenen Parlamentsvorbehalte für den Verteidigungsfall und für alle zu diesem Zweck erforderlichen Vorbereitungs- und Organisationsmaßnahmen aufgehoben werden. Wenn diese notwendigen Mittel in den laufenden Finanzplanungen nicht umverteilt werden können, müssen sie entsprechend zusätzlich bereitgestellt werden.
Es macht politisch keinen Sinn, Rente gegen Verteidigung auszuspielen. Wenn unser Land sich nicht verteidigen kann, ist die Rente wie vieles andere auch nicht (mehr) sicher. Als die größte Volkswirtschaft des Kontinents mit der größten Bevölkerung können wir nicht auf Dauer nominal und relativ weniger für unsere Verteidigung investieren als Frankreich und UK. Stehen die Finanzmittel in ausreichendem Maße zur Verfügung, müssen die Beschaffungsprozesse der Dringlichkeit und Größe der Aufgabe gemäß angepasst werden. Das erfordert bei allen an diesen Prozessen Beteiligten eine diesbezügliche Haltung, mehr auf die jetzt für den nahenden Ernstfall erforderlichen Güter zu setzen als hinter einem den anhaltenden Frieden voraussetzenden Horizont in der Utopie bessere Geräte anzustreben. Letzteres trifft im Übrigen auch für Rüstungsgüter aus den USA zu, sofern diese nicht effektiv kurzfristig lieferbar sind, weil die Lieferzusagen regelmäßig langwierigen und zeitlich unkalkulierbaren Parlamentsbefassungen unterliegen. Und schließlich muss alles, was jetzt marktverfügbar ist und dennoch fehlt – wie etwa Munition, Ersatz für an die Ukraine abgegebenes Material oder Drohnenabwehr für unsere zivilen wie militärischen kritischen Infrastrukturen – umgehend beschafft werden. Wenn eine von wem auch immer gesteuerte Drohne unsere Luftfahrtdrehkreuze für Stunden lahmlegen kann, dann ist es ein auch aus Sicht unserer Wirtschaft inakzeptabler Zustand. Gleiches gilt, wenn kritische militärische und zivile Infrastrukturen in voller Impunität überflogen werden können. Heute werden sie ausgekundschaftet und morgen bedroht.
Es ist bedauerlich, dass es eines solchen Läutens durch die Trump-Administration bedurfte. Die skizzierten Vorschläge sind weitreichend, aber sie ziehen die Konsequenz aus einem Jahrzehnt des Immobilismus in geostrategischer Hinsicht. Wollen wir nicht wie Schlafwandler in den nächsten Weltkrieg schlittern, muss die Zeit der Nachtschwärmerei ein Ende haben. Deutschland muss ab jetzt mit bestem Beispiel vorangehen, nur so wird es seiner Rolle und Verantwortung für unser Land und für den Frieden in Europa gerecht.
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