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Lebenserhaltende Maßnahmen oder Zombifizierung? Das Dilemma der Wirtschaftsförderung in Krisenzeiten und wie man damit umgeht

Veröffentlicht am
Autoren
Christian Blum
Dominik Meier

Eine längere Version dieses Essays erschien in Wirtschaftsförderung in der Krise (Springer, 2023), herausgegeben von Thorsten Korn, Jakob Lempp und Gregor van der Beek.

 

Schlagwort
Business

In Krisenzeiten scheint Wirtschaftsförderung geradezu ein Gebot der Stunde. Warum Vorsicht geboten ist und unter welchen Umständen Wirtschaftsförerung funktionieren kann, analysieren Christian Blum und Dominik Meier.

Die Jahre 2022 und 2023 gehen nicht nur als Jahr der geo-, wirtschafts-, energie- und gesundheitspolitischen Polykrise in die Geschichtsbücher ein – sondern auch als Rekordjahre deutscher Wirtschaftsförderung. Allein die staatliche Förderbank KfW vergab allein 2022 166,9 Milliarden Euro, so viel wie nie zuvor. Steuerungsinstrumente wie die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) und Regionale Wirtschaftsförderungsprogramme der Bundesländer (RW), aber auch staatliche Subventionen wie jene für die Intel-Ansiedlung bei Magdeburg schlagen mit Milliardensummen zu Buche.

Das Jahr 2023 zeigt keine Kehrtwende. Im Gegenteil: Längst gehören Forderungen nach Industriestrompreisen und Migrationsfördergelder in allen Lagern zum Standardkanon des politischen Liedguts; ähnlich sieht es mit Diskussion zur auslaufenden Umsatzsteuerentlastung im Gastronomiegewerbe aus. Die deutsche Wirtschaft, scheint es, lechzt nach mehr Staat. Nicht nach weniger. Ist das sinnvoll?

Ja, bekräftigen all jene, die politische Institutionen als inhärent gemeinwohlorientierte, um Ausgleich bemühte Akteure einstufen und Wirtschaftsförderung, in den Worten des Volkswirts Jörg Lahner, als „sämtliche Aktivitäten, die Unternehmertum und Wertschöpfung ermöglichen oder unterstützen“. In Krisenzeiten scheint Wirtschaftsförderung, wahlweise mit der „Bazooka“ oder mit „Doppelwumms“, geradezu ein Gebot der Stunde.

Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Berlin; Jörg Zägel, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Be careful what you wish for

Aber Vorsicht ist angebracht, auch und gerade aufseiten unserer deutschen Wirtschaft.

Erstens gilt: Wirtschaftsförderung ist – ganz gleich, ob wir von Infrastrukturausbau, Subventionen, Sondervermögen, Deregulierung oder handelspolitischen Maßnahmen reden – gerade kein ideologisch neutrales Instrument zur Steigerung von Wertschöpfung. Es handelt sich um ein politisches Mittel strategischer Einflussnahme. Durch das bewußt selektive Gewähren von Vorteilen für einzelne Branchen oder Regionen schaffen Entscheidungsträger Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten. Sie erwerben Machtressourcen, die sie zu einem späteren Zeitpunkt, etwa wenn es um Unterstützung aus Wirtschaftskreisen für unpopuläre Reformen geht, einlösen können. Durch die Bezuschussung ausgewählter Schlüsseltechnologien (Künstlicher Intelligenz, Batterie- und Brennstoffzelltechnologie, Elektromobilität etc.) und die Nicht-Bezuschussung anderer Sektoren (Carbon Capture & Storage, Dieselmotoren, Kernenergie, Kohlekraftwerke etc.) erzeugen Regierungen eine industrietechnologische Pfadabhängigkeit – und werden damit selbst zu (Mit-)Gestaltern wirtschaftlicher Transformation. Wer das als Unternehmenslenker nicht einkalkuliert, für den gibt es mitunter ein böses Erwachen.

Zweitens wissen wir spätestens seit dem spektakulären Scheitern des protektionistischen Merkantilismus im 18. Jahrhundert: Die staatliche Abschirmung einheimischer Unternehmen gegen Marktkräfte – wie Konkurrenz, Nachfrageveränderungen oder das Aufkommen von Substitutionsprodukten – führt in der Regel nicht zur Konsolidierung, sondern setzt Fehlanreize und hemmt Innovation. Aus Sorge davor, vom Wahlvolk als kaltherzig, unpatriotisch oder indifferent wahrgenommen und dementsprechend abgestraft zu werden, neigen Politiker dazu, malade Branchen mit Staatsgeldern temporär ‚gesund zu spritzen‘. Die Folge solcher vermeintlich lebensrettender Maßnahmen ist aber keine Genesung, sondern, wie Klaus-Heiner Röhl et al. pointiert festhalten, eine „Zombifizierung“ ganzer Branchen. Fehlende Profitabilitätsfaktoren werden verschleiert, anstatt dass man auf die Selbstbereinigungskräfte des Markts vertraut.

Drittens operiert Wirtschaftsförderung in der Krise stets unter dem Vorbehalt einer Verzögerung zwischen Kriseneintritt, Entscheidung und Umsetzung. Weil Krisen – gleich welcher Art – per Definition hochdynamische, schwer prognostizierbare und komplexe Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mit potenziell dramatischen Folgen bilden, spielen unsere auf Gründlichkeit und Normkonformität, nicht aber auf Beschleunigung ausgerichteten Verwaltungsinstitutionen hier unter erschwerten Bedingungen. Diese epistemische Lücke zwischen Aktion und Reaktion hat nicht nur zur Folge, dass der Exekutive und Legislative dem Krisengeschehen immer einen Schritt hinterherhinken. Sie führt vor allem zu einer dramatischen Verschärfung bekannter Abstimmungs- und Entscheidungsprobleme: Informations- und Interessendiskrepanzen, inkommensurable Machtlogiken von Politik und Ökonomie, hohe Emotionalisierung, Sorge wirtschaftlicher Akteure vor steigendem Einfluss der Politik – all diese Probleme müssen im Krisenfall quasi in Echtzeit gelöst werden. Dergleichen fällt selbst Konzernlenkern, die unter ungleich flexibleren Handlungsparametern operieren in der Regel schwer, von gewählten Volksvertretern und Beamten ganz zu schweigen.

Dieser dreifache Problemkomplex lässt die Ausgangsfrage – Ist mehr Wirtschaftsförderung in Krisenzeiten das Gebot der Stunde? – in einem trüben Licht erscheinen. Man wird sich schwerlich zu einem enthusiastischen „Ja!“ durchringen können. Aber auf die Linie jener Verfechter eines minimalinvasiven Nachtwächterstaates vom Schlage eines John Locke, Friedrich August von Hayek oder Robert Nozick einzuschwenken, hieße vielleicht, das Kind mit dem Bade auszuschütten; zumal der Erhalt bestimmter einheimischer Industriezweige, etwa Agrarsektor oder Halbleiterproduktion, aus geopolitischer Sicht geboten sein kann.

Adaptive Wirtschaftsförderung setzt Vertrauen zwischen der politischen Elite und der Wirtschaftselite voraus.

Communication is key

Gibt es einen Mittelweg zwischen wahllosem Gieskannenschwenken und rigorosem Hahnabdrehen – und wie könnte dieser aussehen? Die Antwort liegt möglicherweise in einem kontinuierlichen gegenseitigen kritischen Zuhören zwischen Wirtschaft und Politik über geteilte Interessen und Werte, gemeinsame Maßnahmen, Erfahrungen und Best Practices. Nur durch den Abbau von Informationsasymmetrien und den Abgleich von Daten, Erwartungen (KPIs und Implikationen regulatorischer Eingriffe) und Zielen (politische Prioritäten und „rote Linien“, unternehmensstrategische Parameter bei der Allokation von Ressourcen und der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung etc.) gibt es eine Chance, die drei Problemfaktoren überhaupt zu bewältigen.

Aber nicht nur das, adaptive Wirtschaftsförderung setzt auch Vertrauen zwischen der politischen Elite und der Wirtschaftselite voraus. Nur wenn jede Seite sicher weiß, was die jeweils andere will, unter welchen Sachzwängen sie steht und zu welchen Konzessionen sie fähig ist, ist gemeinsame Problemlösung möglich. Einerseits müssen Unternehmenslenker mit den Spezifika demokratischer System-, Organisations- und Entscheidungslogiken vertraut sein. Andererseits müssen Repräsentanten und Verwaltungsbeamte nicht nur für berechtigte wirtschaftliche Forderungen und Positionen sensibilisiert werden, sondern auch für die Problemlösungskompetenz ökonomischer Akteure.

Im gemeinsamen Fokus dieser Art von Zusammenarbeit sollte ein gemeinwohlorientierter Partnerschaftsansatz stehen, in dem der Spannungsbogen zwischen Partikular- und Kollektivinteressen durch Konsensfindung aufgelöst wird.

Mit diesem Ausweg sind gleichzeitig die Limitierungen des Krisenmanagement-Instruments Wirtschaftsförderung benannt. Effektive Interessenvermittlung zwischen Politik und Wirtschaft braucht Zeit und verlässliche Informationen, und diese ist gerade in Krisenzeiten ein rares Gut. Sie braucht ferner kühle Gemüter, und die sind in Zeiten, in denen Betriebe um ihre Existenz bangen, mindestens genauso knapp. All das muss derjenige reflektierten, der vom Staat als mächtigem Impulsgeber der ökonomischen Transformation träumt. Wirtschaftsförderung ist keine Wunderwaffe.

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Eine längere Version dieses Essays erschien in Wirtschaftsförderung in der Krise (Springer, 2023), herausgegeben von Thorsten Korn, Jakob Lempp und Gregor van der Beek.

 

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