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Frontbericht aus dem Informationskrieg: Rumänien als Testfeld russischer Propaganda

Veröffentlicht am
Autor
Mihai Marc

Die in diesem Beitrag geäußerte Meinung ist die des Autors und spiegelt nicht die Position der Konrad-Adenauer-Stiftung wider.

Schlagwörter
Demokratie
Technologie

Russische Propaganda ist ein grenzübergreifendes Problem. Mihai Marc analysiert, welche Narrative kursieren und welche Gegenmittel es gibt.

Für viele Westeuropäer klingt Propaganda wie ein Echo vergangener Zeiten – nach Kaltem Krieg und autoritären Regimen. Doch an den östlichen Rändern der EU ist Propganda eine allgegenwärtige Realität. Als EU- und NATO-Mitglied ist Rumänien nicht nur ein Beobachter, sondern auch ein direktes Ziel – insbesondere durch Desinformation aus Russland.

Wer in Westeuropa lebt, mag die Tiefe dieses Problems unterschätzen. Doch Rumänien – mit den im November 2024 annulierten Präsidenschaftswahlen, mittlerweile nachgeholt und gut durchgeführt in Mai 2025  – zeigt, wie verletzlich Demokratien in der digitalen Ära sind – und wie wichtig ein gemeinsames europäisches Vorgehen ist.

Propaganda bedeutet ursprünglich nur die Verbreitung von Ideen. Doch im heutigen Sprachgebrauch ist sie negativ konnotiert – als gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung. Noch gefährlicher ist Desinformation: die absichtliche Verbreitung falscher Informationen, oft mit geopolitischem oder wirtschaftlichem Ziel. In Rumänien – wie in vielen anderen Ländern – ist diese Desinformation Teil eines größeren „kognitiven Krieges“, bei dem nicht Panzer, sondern Narrative eingesetzt werden.

Rumänien zeigt sinnbildlich, welche Faktoren eine Demokratie anfällig für Propaganda machen:

  • Hoher Konsum digitaler Medien: Zwei Drittel der Bevölkerung informieren sich online, fast die Hälfte über soziale Netzwerke. Diese Kanäle sind besonders anfällig für Falschinformationen.
  • Sehr geringes Vertrauen in Institutionen: ein Großteil der Rumänen misstraut Politikern und Journalisten. Das schafft Raum für alternative Informationsquellen – meist ohne jedwede journalistische Standards.
  • Politische Polarisierung und Apathie: Die Gesellschaft ist gespalten, viele Menschen ziehen sich aus dem politischen Diskurs und der Öffentlichkeit zurück. Das macht sie empfänglicher für einfache, emotionale Botschaften.

Diese Faktoren machen Rumänien zu einem idealen Testfeld für Desinformationskampagnen – nicht nur für innenpolitische Akteure, sondern auch für ausländische Mächte wie Russland. Und was in Rumänien geschah und weiterhin geschieht, ist Teil eines größeren Plans. Denn die russische Propaganda folgt einem klaren Muster, das tief in der sowjetischen Vergangenheit verwurzelt ist. Die sogenannten „aktiven Maßnahmen“ des KGB – gezielte Desinformationskampagnen – wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht abgeschafft, sondern modernisiert. Heute operieren sie über soziale Medien, Bots und gezielte Narrative. Wenig bekannt ist, dass der russische Militärgeheimdienst (GRU) bis heute eine Abteilung für Desinformation unterhält, die seit 1945 ununterbrochen aktiv ist.

Diese Narrative sind oft Wiederholungen sowjetischer Motive, angepasst an die Gegenwart. Einige Beispiele:

  • Der Westen ist aggressiv: NATO wird als Bedrohung dargestellt, westliche Unterstützung für die Ukraine als Eskalation. Selbst defensive Maßnahmen werden als Angriff interpretiert.
  • Russland will Frieden: Moskau inszeniert sich als friedliebend, obwohl es selbst den Krieg begonnen hat. Angebliche Friedensangebote sind oft taktisch motiviert und beinhalten inakzeptable Bedingungen.
  • Der Westen ist moralisch verfallen: Diese Erzählung wird heute mit religiösem Eifer verbreitet – Russland als Verteidiger traditioneller Werte gegen einen „dekadenten“ Westen. Neu ist dabei ein fast apokalyptischer Ton, der Russland als letzte Bastion gegen „satanische“ Einflüsse darstellt.

Dass sich sowjetische Propagandamuster heute wiederholen, ist kein Zufall – es ist Strategie. Was wie ein Déjà-vu wirkt, ist in Wahrheit die Fortsetzung alter Taktiken mit neuen Mitteln. Die Strukturen des KGB wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht aufgelöst, sondern in die heutigen russischen Geheimdienste SVR und FSB integriert. Diese Organisationen betreiben heute mit modernen Mitteln denselben Informationskrieg wie einst – nur schneller, globaler und digitaler. Die Ziele sind dieselben geblieben: den Westen spalten, Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben, NATO und EU schwächen. Die Wiedererkennbarkeit der Narrative bietet aber auch eine Chance: Wer die Geschichte kennt, kann die Muster erkennen – und ihnen vorbeugen.

Sovjetisches Propaganda Poster mit dem Narrativ vom agressiven Amerika – ein Motiv, das sich bis heute wiederholt.

Diese Narrative sind nicht nur in Russland oder Rumänien präsent – sie finden sich auch in Frankreich, Deutschland oder den USA. Das zeigt uns: Desinformation kennt keine Grenzen.

Gleichzeit sind nicht alle Länder gleich verwundbar. Finnland oder die Niederlande sind beispielsweise besser gewappnet: die Bürger haben ein höheres Vertrauen in Medien und Institutionen, die öffentlich-rechtlichen Medien sind stark, die politische Polarisierung geringer und es gibt gezielte Bildungsprogramme zur Medienkompetenz.

Rumänien hingegen hat Nachholbedarf – sowohl institutionell als auch gesellschaftlich. Doch gerade deshalb kann es ein wertvoller Fall für die EU sein: als Frühwarnsystem und als Labor für Gegenstrategien.

Desinformation ist kein rein nationales Problem. Sie betrifft die gesamte EU – denn wenn ein Glied der Kette schwach ist, leidet das ganze System. Deshalb braucht es gemeinsame Antworten:

  • Stärkung unabhängiger Medien: Qualitätsjournalismus muss gefördert werden – auch finanziell.
  • Transparenz auf Plattformen: Soziale Netzwerke müssen offenlegen, wie Inhalte verbreitet werden und wer dafür bezahlt.
  • Medienbildung für alle: Nicht nur Schüler, auch Erwachsene brauchen Schulungen im Umgang mit digitalen Informationen.
  • Europäische Zusammenarbeit: Rumänien sollte stärker in EU-Initiativen eingebunden werden – etwa beim Austausch von Best Practices oder bei der Überwachung von Desinformationskampagnen.
  • Früherkennung und „Pre-bunking“: Wenn wir wissen, welche Narrative wahrscheinlich kommen, können wir sie entkräften, bevor sie sich verbreiten. Die Analyse sowjetischer „aktiver Maßnahmen“ ist dabei ein wertvolles Werkzeug. Sander van der Linden von der Universität Cambridge hat die Wirksamkeit dieses Ansatzes in Lernspielen wie „Bad News“ und „Go Viral!“ nachgewiesen, die den Nutzern helfen, gängige Manipulationstechniken zu erkennen. Es funktioniert.

Die gute Nachricht ist: Europa ist nicht schutzlos. Länder wie Frankreich haben mit der Einrichtung von Institutionen wie Viginum mutige Schritte unternommen, um Desinformation zu erkennen und zuzuordnen. Die nordischen und baltischen Staaten investieren seit Jahren in Medienkompetenz und psychologische Verteidigung – teils sogar spielerisch, etwa durch Bildungsprojekte auf Plattformen wie Minecraft. Selbst die Republik Moldau, das sich an vorderster Front hybrider Kriegsführung befindet, zeigt bemerkenswerte Resilienz – durch zivilgesellschaftliches Engagement und juristische Gegenwehr.

Doch diese Initiativen sind oft fragmentiert und unterfinanziert. Was fehlt, ist eine kontinentale Strategie – ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz, der demokratische Resilienz nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit begreift.

Europa muss Propaganda als Waffe erkennen.

Wir müssen aufhören, Desinformation als bloßes Ärgernis zu behandeln. Sie ist eine strategische Bedrohung. Das bedeutet: Investitionen in Erkennungstechnologien, öffentliches Benennen von Akteuren, Rechenschaftspflicht für Plattformen. Vor allem aber: das Verständnis, dass Propaganda nicht nur aus Lügen besteht – sondern aus dem gezielten Angriff auf Vertrauen, Klarheit und den sozialen Zusammenhalt. Rumänien ist keineswegs ein Einzelfall – aber ein besonders klares Beispiel. Es zeigt, wie alte Propagandamuster in neuer Form zurückkehren. Es zeigt, wie digitale Technologien genutzt werden, um Demokratien zu untergraben. Und es zeigt, dass Vertrauen – in Medien, in Institutionen, in die Demokratie selbst – unser stärkstes Bollwerk ist.

Für Menschen im Ausland, die diese Realität vielleicht nur aus der Ferne kennen, ist Rumänien ein Weckruf. Die Bedrohung durch Desinformation ist real, systematisch und grenzüberschreitend. Doch diese Bedrohung ist nicht unbesiegbar. Ihr lässt sich begegnen – durch gemeinsames Handeln. Informiert. Kritisch. Solidarisch. Jetzt ist der Moment, die demokratischen Abwehrkräfte Europas zu stärken – bevor es zu spät ist.

 

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