Vom Gegner lernen: Über die geschichtliche Entwicklung und ungebrochene Modernität der NS-Propaganda
Die NS-Propaganda war nicht rückwärtsgewandt, sondern strategisch modern – und wurde teils vom politischen Gegner abgeschaut, rekonstruiert Barbara Zehnpfennig.
Das NS-Regime wird meist als rückwärtsgewandt und von wahnhaften Ideen angetrieben betrachtet. Versuchte man nicht eine Wiederbelebung germanischer Mythen, um eine völkische Identität zu konstruieren, die bis in die graue Vorzeit zurückreichte? Kultivierte man nicht in einer Zeit forcierter Industrialisierung eine Blut-und-Boden-Ideologie, die das Bild des an seine Scholle gebundenen Ackerbauers heraufbeschwor? Folgte man nicht einer Rassen-Ideologie, die aller naturwissenschaftlichen Forschung Hohn sprach?
Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. So war zum Beispiel die Rassenforschung ein in der damaligen Zeit durchaus etablierter Forschungszweig, der sogar von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Germanische Mythen und Blut-und-Boden-Ideologie wurden zwar von NS-Funktionären wie Heinrich Himmler und Richard Walther Darré propagiert, entsprachen aber nicht unbedingt Hitlers Weltbild. Denn sowohl auf politischer als auch auf weltanschaulicher Ebene ließ Hitler konkurrierende Bestrebungen zu, weil dies zu seiner Kampfes-Ideologie passte: Die Auseinandersetzung zwischen gegenstrebigen Kräften führt zu einer allgemeinen Steigerung und zur Besten-Auslese.
Außerdem waren das NS-Regime und vor allem sein Führer in technologischer Hinsicht der Moderne äußerst zugetan. Davon zeugen nicht zuletzt die Entwicklung des Volkswagens, der potentiell einmal allen Volksgenossen zur Verfügung stehen sollte, das Interesse an der neuesten Waffentechnologie und die Einführung des Volksempfängers, jenes einfachen und preiswerten Radios, das zu einem wesentlichen Werkzeug zur Verbreitung der NS-Propaganda wurde.
Die Bedeutung der Propaganda
Ebenso modern wie das Medium der Propaganda war ihre Methode. Wie wichtig dem entscheidenden Mann im Dritten Reich, Adolf Hitler, die Propaganda war, zeigte sich nicht nur in der Einrichtung eines Reichs-Propagandaministeriums mit dem berüchtigten Joseph Goebbels an seiner Spitze. Vielmehr machte sich Hitler schon bevor er an die Macht kam, in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, grundlegende Gedanken zu Wesen und Wirkung politischer Propaganda. Davon zeugen gleich zwei Kapitel in seiner Bekenntnisschrift „Mein Kampf“, eines, das den Titel „Kriegspropaganda“ trägt, sowie ein weiteres, das mit „Propaganda und Organisation“ betitelt ist.
Intellektuelle Bedürfnisse kann und soll Propaganda nicht befriedigen – das ist nicht ihre Aufgabe.
Hitler wollte die politische Macht erringen, indem er sich die Macht über die Köpfe der Menschen verschaffte. Dazu sah er in der Propaganda das wirkungsvollste Mittel. Deshalb betätigte er sich beim Aufbau der NSDAP auch als „Trommler“, als Redner, der sich mit ausgefeilter Rhetorik den Zugang zum Inneren seiner Zuhörer bahnte, um sie seinem Willen zu unterwerfen. Dabei, das berichteten Zeitzeugen, konnte er sich offenbar auf jede Art von Publikum einstellen; er hatte ein Sensorium dafür, was bei wem verfing. Trotz dieser Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Situation verfolgte er bei seiner propagandistischen Arbeit auch allgemeine Grundsätze, über die er mit großer Offenheit in „Mein Kampf“ spricht.
Die Lehrmeister
Woher Hitler seine Grundsätze bezog, offenbart er nur zum Teil. Den Anstoß, sich mit Propaganda zu beschäftigen, gab ihm zweifellos die Erfahrung mit der (damals noch marxistisch orientierten) Wiener Sozialdemokratie, die er von Herzen hasste, in ihrer Propagandaarbeit aber genau beobachtete. Eine weitere, existentiell noch tiefergehende Erfahrung mit der Wirkung von Propaganda machte er im Krieg, anlässlich der feindlichen Kriegspropaganda, die lähmend auf die deutschen Soldaten wirkte. Eine dritte Quelle nennt er nicht, sie lässt sich aufgrund der Ähnlichkeit der Argumente jedoch erschließen: Gustav LeBons „Psychologie der Massen“. All dies hat Hitler zu seiner eigenen Theorie darüber verbunden, wie man die Menschen für seine Ziele begeistert.
Der Auftrag
Dabei glaubte Hitler ganz offensichtlich selbst an seine Mission und strebte die Macht nicht als Zweck an sich an. Er wollte die Menschen in Deutschland von seiner Weltanschauung überzeugen, weil er die Welt in einer lebensbedrohlichen Krise sah. Er glaubte, dass der (jüdische) Bolschewismus auf dem Sprung zur Weltherrschaft war und damit auf dem Weg, die überlegene Kultur zu vernichten und die Menschheit in universelle Knechtschaft zu führen. Deshalb oblag es der höherwertigen Rasse, diese Bewegung aufzuhalten und vollständig zu zerstören. Das konnte jedoch nur auf der Grundlage eines Glaubenssystems gelingen, das ebensolche Überzeugungskraft hatte wie das kommunistische, aber dessen Verlogenheit größte Wahrhaftigkeit entgegenhielt. Aus diesem missionarischen Bewusstsein speiste sich Hitlers politische Radikalität und seine absolute Skrupellosigkeit im Gebrauch propagandistischer Mittel.
Grundsätze der Propaganda
Propaganda ist die Kunst der Seelenlenkung, davon war Hitler überzeugt. Und so musste, wer erfolgreich für seine Ziele werben wollte, ein Kenner der menschlichen Psyche sein. Sowohl der politische Gegner, die Marxisten und Bolschewisten, als auch die Gegner im Zweiten Weltkrieg, allen voran England, hatten dies in Hitlers Augen erkannt und damit eine beispiellose Wirkung erzeugt. In Deutschland versagte man in dieser Hinsicht, so Hitlers Wahrnehmung, jedoch völlig, woraus er den Auftrag ableitete, hier Pionierarbeit zu leisten. Dabei durften weder Humanität noch Ästhetik eine Rolle spielen. Wenn es um Leben oder Tod ging, spielten weder humanistische Ideale noch ästhetische Bedenken mehr eine Rolle.

Zwei Fragen musste man sich stellen, bevor man ans Werk ging, glaubte Hitler: Ist die Propaganda Zweck oder Mittel? Und an wen richtet sie sich? Für Hitler war die Propaganda ganz klar ein Mittel, ein Werkzeug, und dieses musste gemäß dem verfolgten Zweck ausgewählt werden. Wenn der Zweck eine weltgeschichtliche Mission ist, bedeutet das natürlich eine Entgrenzung der Mittel. Alles ist erlaubt. Die zweite Frage beantwortete Hitler ebenso eindeutig. Die Propaganda hatte sich „ewig nur an die Masse zu richten!“ Intellektuelle Bedürfnisse kann und soll sie nicht befriedigen, das ist nicht ihre Aufgabe. Sie zielt auf die Gefühlsebene, sie will die Tiefenschichten im Menschen ansprechen und von daher Einfluss auf seinen Willen nehmen. Hitler kalkulierte hier ganz genau. In „Mein Kampf“ ist nachzulesen, dass er sogar die Tageszeit in die Planung seiner Reden einbezog, um jene Ermattung der Widerstandskraft auszunutzen, die sich gegen Abend eher einstellt als am Vormittag.
Die dumpfe Masse
Und wie arbeitet die Propaganda ganz konkret? Für Hitler ist die Aufnahmefähigkeit der Masse begrenzt, ihr Gedächtnis schlecht. Deshalb muss Propaganda mit einfachen, schlagkräftigen Parolen arbeiten, diese immer und immer wieder wiederholen und konsequent die ganze Wahrheit für sich reklamieren. Hitler vergleicht die politische Propaganda mit der Produktwerbung. Wenn man für ein Produkt Reklame macht, muss man ebenfalls mit eingängigen, stets wiederholten Werbeslogans operieren, und man darf die überragende Qualität des eigenen Erzeugnisses niemals relativierend oder Produkt-vergleichend in Frage stellen. Schließlich will man etwas verkaufen. Das gilt auch für politische Botschaften. Sobald man Zweifel an der Legitimation der Sicht, die man verbreiten will, zulässt, hat man das Spiel verloren.
Die Primitivität, die man in den Reden Hitlers wahrnahm, war also durchaus gewollt. Sie wurde gezielt eingesetzt, um jene emotionalen Triebkräfte in den Zuhörern freizusetzen, die sonst vielleicht durch den Verstand kontrolliert wurden. Hitler wusste, dass das Massenerleben eine Enthemmung fördert, vor der jeder für sich genommen zurückschrecken würde. Die Photos, die Hitlers Leibphotograph Heinrich Hoffmann machte, als Hitler vor dem Spiegel Posen für seine Reden einübte, sprechen für sich. Das Kalkül ist offensichtlich. Auch die Körpersprache ist ein Instrument der Propaganda, und wenn es gelingt, die eigentlich träge Masse in Wallung zu bringen, hat man die Schubkraft, die man für die völlige Umwälzung des Systems braucht.
Inszenierungen
Als Hitler, nicht zuletzt durch seine intensive Redner-Tätigkeit, an die Macht gelangte, schöpfte er alle propagandistischen Mittel aus, um seinen Rückhalt in der Bevölkerung sukzessive zu erweitern. Der für Propaganda zuständige Minister Joseph Goebbels sprach von einer „geistigen Mobilmachung“, die sein Ministerium verfolge, und so nutzte man alle verfügbaren Werkzeuge, um das Ziel zu erreichen. Ständig wiederholte Slogans wie „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“, „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ und „Die Juden sind unser Unglück!“ waren noch die simpelsten Mittel. Doch Hitler und Goebbels hatten erkannt, dass man nahezu alles als Waffe in der Propagandaschlacht einsetzen konnte: soziale Maßnahmen wie das Winterhilfswerk oder die Kraft-durch-Freude-Fahrten für Arbeiter, kulturelle Erzeugnisse wie Bücher, Bilder, Skulpturen und Filme sowie Massenveranstaltungen wie die Reichsparteitage oder die Olympischen Spiele, die 1936 in Berlin stattfanden.
Auch hier war man offen für die modernsten Mittel. Leni Riefenstahl machte Propaganda-Filme mit atemberaubender moderner Ästhetik. Der Architekt Albert Speer half bei der Inszenierung von Parteitagen und erfand den „Lichtdom“, einen Raum aus senkrecht nach oben strahlenden Scheinwerfern, der die sakrale Symbolik geschickt für die Vermittlung politischer Inhalte nutzte. Und im Krieg wurden die Siegesmeldungen sofort im Rundfunk verbreitet, mit Liszts Fanfarenmotiv aus „Les Preludes“ als triumphalem Anfangsakkord.
Durch Wiederholung das Unglaubliche glaubhaft zu machen – dieses propagandistische Ziel Hitlers hat leider weitgehend verfangen, nachdem sein Propaganda-Apparat eine beispiellose Gleichschaltungsoffensive unternahm und die Bevölkerung auf allen Ebenen mit den immer gleichen ideologischen Botschaften bombardierte. Diktatoren wissen, wie man freies Denken ausschalten kann. Und das wissen sie noch immer: Ein Blick nach China, Nordkorea, Russland und in den Iran genügt.
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