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Propaganda machen immer nur die Anderen

Veröffentlicht am
Autor
Thomas Scherer
Schlagwort
Demokratie

Thomas Scherer über den möglichen demokratischen Nutzen einer prekären Kommunikationspraxis.

Mit dem Erstarken rechtsextremer politischer Akteure in westlichen Demokratien, eines sich scheinbar zuspitzenden Kulturkampfes, der insbesondere medienwirksam an den Fronten Gender, Migration und Umweltpolitik ausgetragen wird, sowie der Zunahme von Verschwörungsdiskursen im Kontext der Covid-19-Pandemie, scheint es eine Renaissance des Propaganda-Begriffs im öffentlichen Diskurs zu geben. Dabei wird der Propagandavorwurf von Akteur:innen auf allen Seiten der angerissenen gesellschaftlichen Konfliktlinien freigiebig verwendet – und zwar immer dann, wenn es um vermeintlich unsachliche Kommunikationsbestrebungen der Gegenseite geht. Das Wort „Propaganda“ geht dabei leicht von den Lippen und scheint keiner zusätzlichen Erklärung zu bedürfen: Ganzgleich ob Hassrede auf TikTok, vermeintlich tendenziöse Berichterstattung in den ‚System-Medien‘, dramatisierende Schilderungen der Folgen eines menschengemachten Klimawandels durch eine NGO oder politische Einschätzungen eines Virologen in einem Podcast. Ist sie plump, so offenbart Propaganda die grobschlächtige Ideologie ihrer Produzent:innen, ist sie gelungen, so droht sie die wehrlose Öffentlichkeit mit fast magischen Medienwirkungskräften auf Abwege zu bringen. Soweit so gut. Warum also dann der Versuch dieses Schmähwort komplexer zu verstehen oder gar teilweise zu rehabilitieren?

Propaganda als Arbeit an der Öffentlichkeit

Propaganda war nicht immer eine derogative Zuschreibung. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzte das Wort in den Zwischenkriegsjahren für kurze Zeit eine begriffliche Lücke für „Werbung für Ideen, Werte, Lebensregeln oder komplette Weltanschauungen“, die heute begrifflich unbesetzt bleibt (Westerbarkey). Bei Walter Lippmann , waren Medienwelten, die von Experten hergestellt werden sollen, eine Grundvoraussetzung von demokratischer Meinungsbildung. Denn die reale Welt in ihrer Komplexität sei „out of reach, out of sight, out of mind“ – und damit im wörtlichen wie im übertragenen Sinne ungreifbar. Daher bedürfe es einer Instanz, die Welt erfahrbar macht – bei Lippmann eine Wissenselite von Sozial- und Politikwissenschaftler:innen, die die Informationen unterschiedlichster Disziplinen bündeln und als Weltbeschreibungen aufbereiten. Nur so kann die Masse, der Lippmann in den 1920er Jahren nach den Propagandaerfolgen und Grausamkeiten des ersten Weltkriegs endgültig mit Skepsis begegnet, als Souverän handlungsfähig bleiben. Lippmanns Überlegungen wurde sowohl von seinem Zeitgenossen John Dewey kritisch zurückgewiesenen, als auch in den 1980er Jahren Ausgangspunkt für die Medienkritik von Noam Chomsky und Edward S. Herman. Es finden sich jedoch auch Verteidiger von Lippmanns Werk, wie zum Beispiel Bruno Latour, der es 2008 in seinem Vorwort zu einer französischen Ausgabe von The Phantom Public als Entgiftungskur („désintoxication“) für zeitgenössische Leser:innen bezeichnet und Lippmanns pragmatisches Werk als Versuch beschrieb, die Demokratie vor den Demokraten zu retten.

Propaganda klingt so hart – wir nennen das Purpose-Driven Storytelling. (Filmstill aus They Live, 1988)

Indem die Nationalsozialisten den Begriff „Propaganda“ exklusiv für ihre eigene ‚politische‘ Massenkommunikation verwendet wissen wollten, wurde der Begriff als neutrale Beschreibung einer Kommunikationspraxis nachhaltig verbrannt (vgl. Bussemer). Stattdessen findet sich heute meist eine Kluft zwischen ‚böser‘ Propaganda und ‚legitimier‘ Öffentlichkeitsarbeit, wobei der Unterschied meist a priori festzustehen scheint. Sender:in und Zweck der Kampagne legen hier bereits eine eindeutige Zuordnung unwiderruflich fest. Und während diese dichotome Unterscheidung in Extremfällen gut funktioniert – man denke beispielsweise an einen hasserfüllten Terroraufruf im Vergleich zu einer rührenden Kampagne gegen Analphabetismus –, so kann die Praxis in den Graubereichen gesellschaftlicher kommunikativer Machtausübung, Fragen aufwerfen. So bezeichnete 1983 das US Department for Justice drei Dokumentarfilme des National Film Board of Canada als Propaganda. Einer dieser Filme, der sich gegen den nuklearen Rüstungswettlauf einsetzte, sollte später mit einem Oscar ausgezeichnet werden (vgl. Rosenberg) – eine politische Konstellation, die in Trumps zweiter Amtszeit wieder alles andere als abwegig erscheint.

Was heißt es einen Dokumentarfilm als Propaganda zu bezeichnen? Beide Formate treffen Aussagen über unsere gemeinsam geteilte Welt und können ein politisches Anliegen an uns Zuschauer:innen richten. Ein Unterscheidungskriterium ist, dass Dokumentationen stärker daran gebunden sind, über Vorkommnisse in der Welt zu berichten, um daraus Hypothesen und Haltungen zu abzuleiten, während Propaganda in einem radikaleren Sinne fiktional ist und Welten erschafft, die dazu dienen, bestimmte Annahmen zu untermauern und in Handlungs- oder Einstellungsveränderungen zu übersetzen.

Eine trennscharfe Unterscheidung der verwandten Unterbegriffe persuasiver Medienbotschaften ‚Reklame‘, ‚Public Relations‘ und ‚Propaganda‘ hat sich bisher nicht etabliert.

Propaganda und ihre friedlichen Erben in der Öffentlichkeitsarbeit sind damit sehr basal als Arbeit an der Öffentlichkeit und ihrer Meinung zu verstehen. In Fällen der Des- und Misinformation geschieht dies mittels Vorspiegelung falscher Tatsachen – hier ist die moralische Bewertung eindeutig. Doch in vielen Fällen entzieht sich Propaganda der Bewertung durch Faktenchecks und inszeniert offensichtliche audiovisuelle Fiktionen oder Stimmungsbilder, die auf andere Weise Evidenz über medienästhetische Verfahren herstellen.

Der Filmwissenschaftler Hermann Kappelhoff (2010) fasst dies so:

„Was so entsteht, ist ein kostbares Gut, das jeder propagandistische Film zu erzeugen sucht: der Eindruck, man könne die Welt, von der dort die Rede ist, in ein und demselben Zuge sehen, fühlen und verstehen: Was so entsteht ist sinnliche Evidenz: Die Evidenz, dass die Welt, von der mir erzählt wird, dort auf der Leinwand offen sichtbar ist, und das alles, was dort sichtbar ist, sich unmittelbar ausdrückt und mir deshalb ein affektives Erleben erschließt.“

Was hier im Hinblick auf Weltkriegspropaganda geäußert wurde, mag in Zeiten von TikTok die parabelhafte Erzählung eines Verschwörungstheoretikers aber auch die rührende Organspendekampagne auf unseren Smartphonebildschirmen sein: Es geht gleichermaßen darum, ein Gefühl für die Welt qua sinnlicher Evidenz zu vermitteln.

Eine trennscharfe Unterscheidung der verwandten Unterbegriffe persuasiver Medienbotschaften ‚Reklame‘, ‚Public Relations‘ und ‚Propaganda‘ hat sich bisher nicht etabliert. Dementsprechend fallen auch die wissenschaftlichen Abgrenzungen des Propaganda–Begriffs „zu verwandten Kategorien höchst uneinheitlich und widersprüchlich aus: Mal wird Propaganda als Sonderfall von Werbung definiert, mal als Typ von Public Relations oder wieder als Oberbegriff von PR“ – fasst der Kommunikationswissenschaftler Joachim Westerbarkey zusammen. Alternativ kann man Propaganda auch als „Normalmodus“ (Bussemer) gesellschaftlicher Massenkommunikation betrachten. Eine pauschale negative moralische Bewertung wird dadurch zunächst suspendiert. Auf diese Theorielinie gründe ich die Überzeugung, dass kein universales Kommunikationsmodell allgemeingültig und im Voraus zwischen Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit unterscheiden kann, sondern dass sich erst in der Analyse konkreter Diskursbeiträge Aussagen über deren Legitimität treffen lassen. Aus dieser Perspektive heiligt der Zweck also nicht jegliche kommunikative Mittel – es kann problematische Propaganda geben, die der eigenen politischen Haltung entspricht, wie auch legitime Persuasion für Ansichten, die man nicht teilt. Propaganda ist als ein kulturell wie historisch variables Phänomen zu begreifen, das sich in ständiger Transformation befindet.

Medienkompetenz brauchen immer nur die Anderen

Medienwirkungsprognosen sind so komplex wie umstritten und vorherzusagen, wer aktuell wie von welcher Art der Ansprache beeinflusst werden könnte, ist häufig eher teuer gehandeltes Insiderwissen als wissenschaftlich fundierte Erkenntnis. Was aus einer gesellschaftlichen Perspektive bleibt, sind zwei Formen des Umgangs: Entweder diese Art der Kommunikation ist grundlegend abzulehnen und zu verbieten oder aber es gilt kritisch zu hinterfragen, wie diese sinnlich-evidenten Als-Ob-Welten beschaffen sind und welches Menschenbild sie implizit oder explizit propagieren. Wenn Propaganda allgegenwärtig ist, dann gilt es das Zuschauen in der ‚Zuschauerdemokratie‘ als politische Betätigung ernst zu nehmen und zu kultivieren. Gerade in diesen Diskursen geht es darum zu differenzieren, wie genau unterschiedliche Akteur:innen an die Gefühle der Gemeinschaft appellieren. Denn neben dem Zweck ist die Art und Weise entscheidend, wie für Verhaltensweisen und Weltanschauungen geworben wird. Und ich meine damit zunächst nicht Medienkompetenzprogramme, die – leicht herablassend – immer nur für die anderen gedacht sind: geschichtsvergessene Jugendliche, überforderte Boomer oder die sogenannten „Abgehängten“ im ehemaligen „Tal der Ahnunglosen“. Es gibt für jede:n die passende Propaganda und niemand, egal ob Medienwissenschaftler:in oder Politveteran:in, ist immun – wie Jacques Ellul gezeigt hat.

Ästhetiken der Überwältigung

Ist eine persuasive Medienbotschaft jenseits rein sachlicher Information, die meinen persönlichen Überzeugungen widerspricht, automatisch Propaganda? Oder sind alle kommunikativen Angebote, die für Weltanschauungen und Verhaltensweisen werben, die durch das Grundgesetz gedeckt sind, legitime Öffentlichkeitsarbeit und damit grundverschieden von Propaganda?

In anderen Bereichen, der Werbung im öffentlichen Raum etwa, haben wir uns als Gesellschaft juristische aber auch sittliche Regeln auferlegt, die selbst für die nobelsten Zwecke bestimmte kommunikative Praktiken beziehungsweise Intensitäten unterbinden. So gilt es auch für gemeinnützige Spendenaufrufe unangemessene Emotionalisierungen zu unterlassen – juristisch gesehen, wenn sie die Menschwürde verletzen, sittlich beispielsweise bei der Vergabe von Spendensiegeln: „Stark Mitleid erweckende und gefühlsbetonte Werbung ist ein Kennzeichen unseriöser Organisationen.“ (DZI-Spendensiegel). Besonders im Fokus ist dabei immer wieder die Werbung mit Angst. Denn wäre im Ringen um die Spenden der breiten Öffentlichkeit alles erlaubt, so wäre die logische Konsequenz im Kampf um Aufmerksamkeit die eindringlichsten und erschütterndsten Bilder auszuwählen, um den Spendenaufruf zu illustrieren. So lange es echte Opfer sind, verbrieft die Kamera ja nur, was wirklich irgendwo geschah und die faktische Richtigkeit ist gewahrt. Dennoch sähe unsere (Medien‑)Öffentlichkeit ganz anders aus in der ständigen Vergegenwärtigung des unermesslichen Leids auf unserem Planeten. Auch für unfraglich noble Zwecke, wie die Bekämpfung des Welthungers, sehen wir also in einer demokratischen Öffentlichkeit Kommunikationsformen vor, die den Adressat:innen eine gewisse Handlungsfreiheit einräumen und sie nicht mit roher Intensität konfrontieren. Im Hinblick auf politische Bildung bezeichnete diesen Zusammenhang von intensiver Emotionalisierung und eingesschränkter Meinungsfreiheit der Beutelsbacher Konsens von 1970 als „Überwältigungsverbot“, welches im Spannungsfeld der Propagandaerfahrungen des Nationalsozialismus und der Politisierung der Bildungseinrichtungen im Kontext der 68er-Bewegung die Grenze zwischen (kontroverser) Bildung und Indoktrination markiert. Ein pragmatischer Minimalkonsens zwischen sehr unterschiedlichen Positionen, um produktiven Dissens im Rahmen einer gemeinsamen freiheitlichen Grundordnung zu ermöglichen. Immanuel Kant unterscheidet in seiner Kritik der Urteilskraft die Rhetorik (Beredtheit und Wohlredtheit) von der Rednerkunst strikt, da letztere für ihn „mit dem unangenehmen Gefühl der Mißbilligung einer hinterlistigen Kunst“ verbunden sei, „welche die Menschen als Maschinen in wichtigen Dingen zu einem Urteile zu bewegen versteht.“ Das Wesen dieser „Kunst“ bestehe darin, „sich der Schwächen der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer so gut gemeint, oder auch wirklich gut sein, als sie wollen)“. Diese Beredsamkeit wird von Kant in einem fast parasitären Verhältnis zur Dichtkunst beschrieben, von der sie „nur so viel entlehnt, als nötig ist, die Gemüter, vor der Beurteilung, für den Redner zu dessen Vorteil zu gewinnen, und dieser die Freiheit zu benehmen […]“.

Überwältigung ist also das, was Überzeugungsarbeit in undemokratische Nötigung verwandelt. Dass sie dies mit künstlerischen Elementen vollzieht, lässt die Frage nach der Ethik der Ästhetik umso drängender werden.

Klare Vernunft und verdächtige Gefühle?

Also zurück zu einer Vorstellung der rein rationalen Deliberation in der nur das Abwägen von Fakten zur besten Lösung für alle führen und Gefühlsappelle als Störgeräusche ausgeblendet werden sollten? Wie derzeit Biodiversitäts- und Klimaforscher:innen vielleicht am eindringlichsten bezeugen könnten, führen wissenschaftlich verbriefte Faktenlagen und daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen nicht automatisch dazu, dass diese auch politische und gesellschaftliche Berücksichtigung finden. Politische Öffentlichkeiten sind immer auch affektive Gemeinschaften, die um gemeinsame Haltungen gegenüber Herausforderungen ringen. Wenn sich die Politik nicht nur als nüchterne Verwaltung versteht, so ist sie auf das Politische angewiesen, was wiederum ohne Gemeinsinn und Gemeinschaftsgefühle nicht denkbar ist. Doch wenn Emotionalität in diesen Diskursen ausschließlich in ihren Extremen als Hass, Stolz oder Panik gedacht wird, dann verschwinden dahinter leisere Gefühle wie Zuversicht, Vertrauen, Zweifel oder Rührung, die für demokratische Öffentlichkeiten aber wichtige, vielleicht sogar überlebenswichtige, Ressourcen sein können.

Gleichzeitig finden diese politischen Verständigungsprozesse nicht im luftleeren Raum statt, sondern in komplexen (Medien‑)Öffentlichkeiten, bei denen Kunst, Unterhaltung, Werbung und private Kommunikation einander überlagern können, indem sie sich Aufmerksamkeit, Screens und Plattformen miteinander teilen. Wenn kommerzielle Akteur:innen oder Extremist:innen mit emotionalisierenden Botschaften auf eine Gesellschaft einwirken, scheint eine gänzlich entemotionalisierte Sprache der Politik in manchen Diskursebenen kein überzeugendes Gegenangebot zu sein.  Zwar ließe sich aus diskursethischer Perspektive – etwa grob im Sinne der Universalpragmatik nach Habermas – ein Ideal rationaler, herrschaftsfreier Kommunikation als normativer Maßstab anführen; jedoch zeigt sich in medialen Kommunikationspraktiken, dass kommunikative Rationalität nicht in allen Kontexten hergestellt oder erzwungen werden kann, gerade wenn stark affektive Formen der Ansprache diskursdominant werden oder Akteur:innen die Vernunft abgesprochen wird. Wichtig ist hervorzuheben, dass Extremismus nicht mit politischer Radikalität zu verwechseln ist. Denn das Gegenteil von und damit die Antwort auf Extremismus muss nicht zwangsläufig Mäßigung, Distanziertheit oder Milde sein, sondern kann sich in einem emphatischen Verfassungspatriotismus oder in einem radikalen demokratischen Pluralismus äußern. Emotionalisierung per se abzutun erscheint aus dieser Perspektive schlichtweg irrational. Eine solche Position säße dem Irrtum einer vermeintlich emotionslosen Rationalität auf und würde das Repertoire demokratischer Kommunikation nachhaltig einschränken.

Emotionalisierung ist für sich genommen moralisch neutral – im konkreten Einzelfall kann sie sowohl demokratiefördernd als auch -schädigend wirken. Politische Deliberation sollte daher nicht mit Stoizismus gleichgesetzt werden: Gefühle spielen eine wichtige Rolle in jeder Form medialer gesellschaftlicher Kommunikation.

Für „gute“ Propaganda

Wenn Propaganda bedeutet, mit Symbolen für ein bestimmtes gemeinschaftsdienliches Verhalten zu werben, indem man die Gefühle seiner Adressat:innen anspricht und so nicht informiert oder argumentiert, sondern primär überzeugt und überredet, dann kann sie ein legitimes und vielleicht sogar notwendiges Instrument sein, um kollektive Verhaltensänderungen zu erwirken. Denn Politik als gefühlslose Sphäre zu konzeptualisieren, birgt die Gefahr, große Teile der Bürger:innen zu verlieren.

Propaganda – im weiten Sinne verstanden – ist universell, in nahezu jeder Form massenmedialer Kommunikation präsent und als theoretisches Konzept vielleicht sogar entbehrlich weil unaussagekräftig.

Wenn Propaganda jedoch bedeutet, das Individuum als bloßes Mittel zum Zweck zu betrachten – das durch totalitäre Ästhetiken zugerichtet werden soll –, dann gilt es aus demokratischer Sicht, jegliche Form der Propaganda vehement zu unterbinden: selbst dann, wenn sie politische Ziele verfolgt, mit denen wir einverstanden sind. Zurichtung meint hier die gewaltsame Besetzung der Alltags- und Weltwahrnehmung durch vereinfachte und intensive Wahrnehmungsmuster, die fiktionale Opfer-Täter-Zuschreibungen und Kausalitätslogiken naturalisieren. Die Produzent:innen dieser Form der Propaganda zielen dezidiert auf eine Maschinisierung der adressierten Menschen – im Sinne Kants. Denn die dauerhafte Duldung solcher Medienpraktiken, kann Diskursräume schädigen und verschließen. Statt Gefühlswelten, die als Deutungsrahmen für Gemeinschaft und Welt anzubieten, die damit als kognitive Instrumente der Meinungsbildung fungieren, sollen hier im Kalkül der Produzent:innen Reiz-Reaktions-Schemata angelegt werden. Nimmt diese Form der gesellschaftlichen Kommunikation überhand, verrohen und vermüllen unsere massenmedialen demokratischen Foren. Propaganda – im weiten Sinne verstanden – ist universell, in nahezu jeder Form massenmedialer Kommunikation präsent und als theoretisches Konzept vielleicht sogar entbehrlich weil unaussagekräftig. Zugleich markiert Propaganda – nun im engeren Sinne – den totalitären Tabubruch mit den Grundwerten demokratischer Diskurse. Genau dort, wo diese Grenzlinien verschwimmen, entsteht ein Problem für demokratische Öffentlichkeiten: Wo endet das legitime, beherzte und notwendige Werben um Zustimmung – und wo beginnt die Zerstörung von Mündigkeit und Verantwortung für das eigene Handeln? In Zeiten bröckelnder Hegemonien und umgreifender Machtskepsis braucht es den Mut zu einem vielstimmigen Diskurs darüber, was gute Propaganda im Jahr 2025 sein könnte.

Neben dem bereits oben erwähnten Überwältigungsverbot, das die Intensität von Kommunikationsangeboten begrenzen würde, ließe sich auch über ein Konstruktivitätsgebot nachdenken:

Ein Überwältigungsverbot wäre als pragmatischer Minimalkonsens demokratischer Akteure zu verstehen. Es sollte untersagen, durch übermäßige Emotionalisierung Meinungs- und Handlungsfreiheit radikal einzuschränken. Es sollte aber auch verbieten, dass gezielt jene ästhetisch adressiert werden, die sich nach Überwältigung sehnen, um so die Verantwortung für ihr Handeln abzugeben. Es muss bedacht werden, dass audiovisuelle Bilder nicht in sicherer Distanz vor unseren Augen ablaufen, sondern die Körper ihrer Zuschauer:innen im Gesehen-Werden durchdringen – und im Fall aggressiver Propagandaästhetiken sogar dauerhaft besetzen können. An dieser medienästhetischen Schwelle beginnt das, was sich mit Kant als Maschinisierung des Publikums beschreiben lässt – und das kann ebenso im Namen der „guten Sache“ geschehen.

Mit einem Konstruktivitätsgebot ist ein Fokus auf positiv bestimmte Zustände und Verhaltensweisen gemeint. Denn in den Feindbildern von Propaganda – egal ob es sich um den ekelbehafteten Suchtkranken in der Nichtraucherkampagne handelt oder um die überzogene Darstellung eines demokratischen Gegners – zeigen sich menschenfeindliche Züge, die im Dienste einer vielleicht sogar gut gemeinten Überzeugungsarbeit gemeinschaftszersetzende Nebenwirkungen mit sich bringen. Konstruktivität meint hier zum einen die Maxime, dass man stets einen unter mehreren konkurrierenden Lösungsansätzen für gesellschaftliche Probleme vertritt. Es geht nicht darum, Alternativlosigkeit und vermeintlich unausweichliche Kausalität mit fiktionalen Dramatisierungen und Gefühlsappellen an die Zuschauer:innen zu vermitteln. Gute Propaganda verdichtet im Idealfall komplexe Situationen zu einprägsamen Bildern, die es ihrem Publikum ermöglichen, die Welt auf neue Weise zu sehen, um daraus Schlüsse für ihr Handeln zu ziehen. Zum anderen würde im Rahmen eines Konstruktivitätsgebots ästhetisch an die Empathie, das Urteilsvermögen und die Problemlösungsfähigkeit der Rezipient*innen appelliert werden – und damit auch an deren Verantwortung. Und dies nicht individualistisch vereinzelnd, sondern mittels filmischen Weltbildern, die sich an die Einzelnen immer schon als Teil der politischen Gemeinschaft richten und damit auch als Souverän der Demokratie. Propaganda, die so fiktionale Vorstellungen davon entwirft, in welcher Welt wir leben wollen, könnte als Labor für derzeit dringend benötigte Utopien dienen.

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Demokratie

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